Alard von Kittlitz ist ein Sprach-Virtuose und ein scharfsinnige Beobachter. Man liest gerne seine eleganten Sätze, lässt sich auch hineinziehen in Diskussionen, die vor bemühter Intellektualität strotzen. In seinem neuen Roman „Kismet“ geht es um ein Paar, das vor allem um sich selbst kreist. Die Jurastudentin Johanna fühlt sich schicksalhaft zu dem armenischen Maler David hingezogen, dessen rätselhaftes Gemälde sie in Bann geschlagen hat.
Gegenseitige Abhängigkeit
Die beiden ungleichen Mittzwanziger kommen auch zusammen, aber es wird eine äußerst schwierige Beziehung, die lange unter einem Mangel an sexueller Nähe krankt. Beide haben Verletzungen davon getragen, die sie vor dem jeweils anderen verbergen. Alard von Kittlitz erzählt aus der Perspektive von Johanna, wie sich die Beziehung zwischen Berlin, Ibiza und New York zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, ja zu einer Obsession entwickelt.
Zelebrierte Außergewöhnlichkeit
Johanna leidet unter Davids Besitzanspruch, unter seiner Aggressivität und fordert sie doch immer wieder heraus. Die beiden können nicht miteinander, sie können aber auch nicht von einander lassen. Johanna vernachlässigt Familie und Freunde, um diese außergewöhnliche Beziehung zu zelebrieren, auch wenn sie immer wieder Zweifel daran hat, dass sie ihr guttut.
Abgründe in Bergkarabach
Die abgründige Liebe ist das Zentrum des Roman. Daneben geht es auch um den Kunstmarkt mit seinen Lügen und Übertreibungen. Und dann auch um Armenien, Bergkarabach, die ehemals armenische Exklave, die Aserbaidschan 2023 erobert hat. Hier am Rand der zivilisierten Welt fühlt sich der entwurzelte David endlich zu Hause, angekommen – trotz aller grausamen Erinnerungen an aserbaidschanische Übergriffe, trotz Zukunftsangst. Für Johanna ist da kein Platz.
Viel Philosophie und Psychlogie
„Kismet“ ist vor allem ein Roman über die Unmöglichkeit der Liebe, über Traumata und eine Generation, die in ihrer Selbstbezogenheit kaum zu Empathie fähig ist. Streckenweise liest sich der Roman wie ein Philosophie-Proseminar, es wird viel theoretisiert, viel zitiert. Da geht es um Zufall und Schicksal, viel auch um Psychologie. Der Autor nimmt seine zwei Protagonisten und ihr Ringen ernst. Das macht die Lektüre nicht immer leicht – aber lohnend.
Hineingelesen…
… in die Paar-Geschichte
„Wie war es in Paris?“ fragte sie, als sie de gespannte Stille nicht mehr aushielt.
Er begann zu zögern, seine Stirn furchte sich, dass lächelte er doch. „Gut. Vielversprechend. War vor allem ein Treffen mit einer Kuratorin vom Palais de Tokyo.“
„Was wollen solche Leute eigentlich hören von dir? Die kennt doch deine Arbeiten. Über was redet ihr dann so?“
„Ach, weißt du. Die will wissen, was ich gerade mache, woran ich arbeite. Mir erzählen, was sie vorhat, verstehen,ob ich in ihre Sache reinpasse, oder mir erklären, warum ich da mitmachen soll. Mich vielleicht auch ein bisschen auschecken, wie ich drauf bin, wie ich rede, ob ich spinne oder okay bin.“
„Ich möchte so gerne, dass du mir mal etwas zeigst von dem, woran du gerade arbeitest“, sagte Johanna.
„Ich hab letzte Woche etwas gemacht über dich und mich. Das zeige ich dir gern.“
„Über uns?“
„überrascht dich das?“
„Ich verstehe irgendwie nicht, warum“, sagte sie.
Er schüttelte irritiert den Kopf, aber Johanna kriegte ihn wieder zu fassen, bevor sich wieder etwas verhaken konnte, zwischen ihnen. „Ich würde einfach gerne wissen, was du in mir siehst. Ich bin doch nicht so, ich weiß nicht…“ Sie wusste nicht, wie sie ausdrücken sollte, was sie meinte, dieses Unentschiedene in sich, das Ziellose, Traurige.
„Findest du mich denn interessant, Johanna?“
„Ja,. Total. Ich finde auch das auch das, was du aus dir selbst zu machen verstehst, wichtig. Also, Kunst.“
Er lachte, aber geduldig, warm. „Ich bin nicht meine Arbeit. Vielleicht findest du meine Arbeit interessanter als mich? Aber ich verstehe schon. Es stimmt auch. Das, was ich mache, ist wichtig, auch für mich. Die Praxis, diese menschliche Tätigkeit, Kunst. Aber meine eigenen Sachen sind meine, da habe ich ein intimeres Verhältnis zu, ich kenne die Prozesse dahinter zu gut, um das irgendwie magisch finden zu können.“ Er zögerte einen Moment, bevor er lächelnd fortfuhr: „Wobei das auch nicht ganz stimmt, wenn ich ganz ehrlich bin. Es gibt schon einen Rausch, auch was von Zauberei, weil die Sachen irgendwann lebendig werden und ich nicht weiß, wie oder warum. Das gebe ich zu. Und ich verstehe, dass dich das anzieht. Mich zieht es ja auch an.
Info Alard von Kittlitz. Kismet, Piper, 265 S., 26 Euro
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