Missstimmung im Ferienhaus

13. Mai 2021

Max Küng seziert gern seine Mitmenschen – als Kolumnist und als Buchautor.  So auch im Roman „Fremde Freunde“. Ein Haus in Frankreich: Wer träumt nicht davon. Jean und Jacqueline haben ihren Traum verwirklicht, aber ihnen laufen die Kosten davon. Warum also nicht Freunde an dem Feriensitz in der französischen Provinz teilhaben lassen? Das Paar lädt die Eltern der Freunde ihres Sohnes auf eine gemeinsame Woche in ihr Haus ein, und Jean verwöhnt die Gaumen seiner Gäste mit enthusiastischer Kochkunst.

Gegensätzliche Charaktere

Alles sieht gut aus, auch wenn die Paare nicht unbedingt harmonieren. Da sind die herbe und selbstbewusste Graphikerin Veronika und ihr Noch-Ehemann, der wortkarge Zahnarzt Bernhard. Der Gegensatz zu der unsicheren Sängerin Salome und dem von sich überzeugten aber nicht ganz so erfolgreichen Schauspieler Filipp könnte nicht größer sein. Und dann die Gastgeber: Der rundliche Genussmensch Jean und seine etwas naive Jacqueline.

Merkwürdige Ereignisse

Ganz allmählich schleichen sich Zweifel an dem Projekt ein, merkwürdige Ereignisse stören die oberflächliche Harmonie. Misstrauen keimt auf. Die Spannungen zwischen Veronika und Bernhard trüben die Ferienlaune, und Veronikas ungeniert zur Schau getragene Attraktivität bringt Filipps und Jeans Hormonhaushalt in Wallung, während Filipps ausgestellte Männlichkeit Jacquelines Träume beflügelt.

Fremde in Frankreich

Max Küng beschreibt in seinem Roman „Fremde Freunde“ nicht nur die Crux mit einem Ferienhaus, er seziert auch ganz nonchalant die komplizierten Paarbeziehungen von Menschen in der Lebensmitte. Jean und Jacqueline bleiben trotz des „Second House“, wie sie ihre Ferienbleibe gerne nennen, Fremde im französischen Dorf. Sie kennen weder die Nachbarn, noch interessieren sie sich für deren Belange. Auch das wird sich rächen.

Gespür für menschliche Schwächen

Und gegen Ende erinnern die Gastgeber und ihre Gäste ein wenig an Sartres „Geschlossene Gesellschaft“. Jean und Jacqueline kennen zwar das berühmte Zitat „Die Hölle, das sind die anderen“ nicht, aber sie empfinden zunehmend genau ao. Am Ende bleibt nur die Desillusionierung. Das klingt nicht gerade nach einer entspannten Ferienlektüre, aber der Kolumnist Max Küng hat ein untrügliches Gespür für die menschlichen Schwächen, er schreibt mit bissigem Witz und despektierlicher Distanzlosigkeit. Vorsicht, der Wiedererkennungswert ist groß!

Hineingelesen…

… in den Eltern-Blues

Anfangs war die Elternschaft für Filipp  wie auch für Salome ein veritabler Schock gewesen. Die Gefühle flipperten zwischen den schwindelerregenden Höhen der Glückseligkeit und den tiefdunkel schrundigen Tälern der Verzweiflung – Gefühlszustände, die beide Partner nicht immer synchron durchliefen.
Doch dann kehrte nach und nach so etwas wie Normalität ein, eine Routine, denn der Mensch besitzt die unglaubliche Fähigkeit, sich an alles zu gewöhnen. Sogar an Kinder.
Salome und Filipp wurden wieder zu denen, die sie zuvor gewesen waren, mehr oder weniger. Das „weniger“ dabei betraf vor allem Salome, fand Filipp, der befürchtete, sie sei irgendwie auf einem Hormon-Trip hängen geblieben und werde nie wieder die alte Some. Auch was ihren Körper betraf. Bloß ein, zwei Mal ging sie zum Rückbildungstraining. Dann wollte sie nicht mehr.  Es sei ihr zu anstrengend, sage sie. Filipp kam es so vor, als wäre sie mit Zwillingen schwanger gewesen und einer wäre drin geblieben. So dachte er, wenn er böse auf Salome war. Was ihm aber sofort furchtbar leidtat. Wie konnte er nur! Sie hatte ihm Kinder geschenkt! Gab es ein größeres Glück? Existierte ein gewaltigeres Wunder? Musste man nicht unendlich dankbar sein dafür? Als Folge war er fürsorglich und lieb zu ihr, um wenige später bei anderer Gelegenheit wieder zu überlegen ihr ein Rudergerät oder wenigstens einen Hometrainer zu schenken.
Anfangs dacht er, das würde schon wieder. Brauchte nicht alles seine Zeit? Aber dem war nicht so. Die Geburten hatten Salome versehrt zurückgelassen, innerlich wie äußerlich. Niemals jedoch fragte er sich, was die Geburten mit ihm angerichtt hatten. Filipp war einfach der, der er immer gewesen war: Filipp.

Info: Max Küng. Fremde Freunde, Kein & Aber, 431 S., 25 Euro

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert