Rachefeldzug im Kindergarten

16. Januar 2023

Mit „Turmschatten“ hat der Münchner Peter Grandl vor zwei Jahren einen hochspannenden Thriller um den  von voyeuristischen Medien begleiteten Rachefeldzug eines alten Juden gegen drei Neonazis vorgelegt. Nun also die Fortsetzung „Turmgold“. Und wieder geht es um diesen Turm im Umfeld von München – und um existentielle Fragen wie „Darf man ein Leben opfern um zehn andere zu retten?“

Alltagsrassismus und Behördenversagen

Und wieder hat der Medienexperte seinen Roman entlang der Schlagzeilen der letzten Jahre geschrieben und aktuelle Probleme wie den Alltagsrassismus, das Wiedererstarken der Rechten, das Versagen der Behörden, Corona, die Aufmerksamkeitsgier der Medien und den wachsenden Antisemitismus in einen bis zur letzten Seite spannenden Thriller verpackt.

Halt im bürgerlichen Leben

Zehn Jahre sind vergangen, seit der alte Jude Zamir die drei Neonazis in seine Gewalt gebracht hatte. Karl Rieger, der gegen seine Kumpane ausgesagt und als Kronzeuge eine neue Identität bekommen hatte, hat seinem alten Leben abgeschworen und sich in Frankreich als Vergolder eine neue Existenz aufgebaut. Mit seiner französischen Frau und den zwei Töchtern ist er als Paul Trautmann ein angesehener Bürger. Von dem Angriff auf den Turm erfährt er, als er in Augsburg in der Jugendstilkirche Herz Jesu arbeitet.

Zum Killer gedrillt

Für den ehemaligen Kumpan Gottfried Wegener, genannt Steiner, ist Karl Rieger ein verhasster Verräter. Mit seinem rabiaten Antisemitismus infiziert Steiner seinen Neffen Lutz und macht aus dem schwächlichen Außenseiter einen gewissenlosen Killer. Denn Lutz soll ihm dabei helfen, sich für seine Verletzungen vor zehn Jahren zu rächen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erringen.

Ein Leben für zehn andere

Ziel seines brutalen Plans ist der jüdische Kindergarten, der seit einigen Jahren im Turm beheimatet ist. Die Kinder und ihre Erzieherinnen sollen Steiners Rachefeldzug zum Opfer fallen und die Mörder in die rechte „Hall of Fame“ katapultieren. Weil Steiner im Austausch für die  Geiseln  fordert, dass Karl Rieger alias Paul Trautmann sich ihm stellt, stehen die alarmierten Sicherheitskräfte vor der Frage, ob sie den Mann opfern können, um das Leben der Kinder zu retten.

Gier nach Gold

Noch während Steiner und Lutz sich mordend Zugang zum Turm verschaffen und dort für Angst und Schrecken sorgen, hat der Turm aus ganz anderen Gründen Aufmerksamkeit erregt. Der für die Umgestaltung verantwortliche Architekt ist sicher, dass im Untergrund Nazi-Gold lagert und gibt seine Informationen an einen ebenso skrupellosen wie erfolgreichen AfD-Mann weiter. Gemeinsam und unterstützt von einem schweizerischen Geldgeber wollen die beiden den Schatz heben, während ein militanter  Haufen einen Anschlag auf die bayerische Regierung plant.

Ein Kurzauftritt für Zamir

Wie alles zusammenkommt und welche Rolle der alte Jude Zamir in diesem neuen Turm-Thriller spielt – um das alles zu erzählen, braucht Peter Grandl gut 580 Seiten. Ein schneller Perspektivenwechsel zwischen den unterschiedlichsten Protagonisten erhöht noch die Spannung.

Verwickeltes Plot

Als Nachtlektüre ist dieser Thriller also nicht zu empfehlen. Es sei denn, man schlägt sich die Nacht um die Ohren, um das Knäuel von Verschwörungen, Traumata und Zukunftsplänen zu entwirren,  das Peter Grandl so geschickt verwickelt hat.  Am Ende ist eines sicher: Der dritte Turm-Thriller kommt bestimmt.

Hineingelesen…

… in Steiner und die rechte Gefahr

Es dauerte eine Weile, bis Gottfried Wegener, berauscht von Narzissmus und Adrenalin, den Bezug zur Realität wieder herstellen konnte. Das kreischende Mädchen in seinem Arm hatte dem perfekten Augenblick eine unanagenehme Komponete verliehen. Ein ruckartiger Dreh an ihrem Kopf würde ausreichen, um sie für immer verstummen zu lasen – und auch wenn er das kurz ernsthaft in Erwägung zog, so hielt ihn sein Überlebensinstinkt davon ab. Denn das Mädchen war seine Rüstung und bot ihm Schtuz vor einem Dutzcen Scharfschützen, die ihn im Visier hatten. Das Mädchen und natürlich die entschärfte Handgranate, die er ih an die Brust drückte.
… Die Welt hatte den Atem angehalten, und das Bild von Maja im Arm des gewalttägien Neozanzis grub tiefe Wunden ins kollektive Bewusstsein der Nation.
Wie hatten sie es alle nur so weit kommen lassen können? Fünfundsiebzig Jahre nach dem Ende des Holocausts beschämte diese Szene all jene, die die Erinnerung an die Gräueltaten des Dritten Reiches als „Schuldkult“ bezeichneten.
Noch 2017 hatte der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke erklärt: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Vok der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“
Womit er das Holocausts-Mahnmal in Berlin gemeint hatte, das an sechs Millionen ermordete Juden erinnerte. Ergänzend hatte Höcke damals hinzugefügt, die Erinnerungskultur seit 1945 sei eine dämliche Bewältigungspolitik.
All die Anschläge und Morde, mit denen Rechtsradikale nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Gesinnung auf blutige Weise zur Schau gestellt hatten, waren nicht genug gewesen, um flächendeckend eine tiefe Abscheu gegen rechtspopulistische Strömungen herbeizuführen. Doch das Bild des Mannes, der bereit war, hier und jetzt ein unschuldigen kleines Mädchen aufgrund seiner ideologischen Überzeugung zu ermorden, setzte einen tiefen Stachel in das verkrustete Denken der Wutbürger und weckte die Demokratie aus ihrer Ohnacht.

Info Peter Grandl. Turmgold, Piper, 580 S., 18 Euro

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