Bäuerin ohne Land
Allgemein / 16. April 2019

„Vom Aldi-Kind zur Öko-Landwirtin“ schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ zum Buch von Anja Hradetzky  „Wie ich als Cowgirl die Welt bereiste und ohne Land und Geld zur Bio-Bäuerin wurde“. Gut 300 Seiten braucht die junge Frau, um dahin zu kommen, wo sie wohl immer schon hin wollte: „Hier im Odertal war nun mein Kanada, auch wenn die Weite nicht ganz so weit, die Kälte nicht ganz so kalt war und natürlich die Pferde fehlten.“ Von der Großstadt- zur Landliebe Sie war nicht auf dem allernächsten Weg vom heimischen Dorf im Erzgebirge zu ihrer neuen Heimat gekommen. Es hatte vieler Umwege und Reisen bedurft, bis Anja wusste, wohin und was sie wollte. Sie studiert, lernt die Parallelwelt in Berlin kennen und eine Großstadtliebe, macht Praktika auf dem Land und kommt dabei ihrem Ziel, mit Tieren zu leben, ebenso näher wie dem jungen Polen Janusz, der ihre Landliebe teilt. Doch Anja will mehr und bewirbt sich für eine Working Ranch in Kanada – im Winter, weil sie die Jahreszeit mag. Auf der Ranch lernt sie einiges für ihr zukünftiges Leben, vor allem, wie man Tiere diszipliniert, ohne sie zu quälen: „Hier schrie keiner, es gab keine roten Köpfe, es war wunderschön.“ Ihrem Traum…

Der Misanthrop als Romantiker
Rezensionen / 1. April 2019

Verblüffend, wie Michel Houellebecq immer wieder aktuelle Entwicklungen vorwegnimmt. Auch für seinen neuen Roman  Serotonin  werden ihm fast prophetische Fähigkeiten attestiert, weil er im zweiten Teil so etwas wie die Bewegung der Gelbwesten skizziert habe. Doch dem „Miesepeter der französischen Literatur“ geht es eigentlich um etwas ganz anderes, um das Gefühl einer seelischen Verarmung, um totale Entfremdung und gesellschaftliche Kälte. „Ist so das Leben der Menschen?“ fragt sein Protagonist Florent-Claude Labrouste einmal, als er die Vereinsamung seiner großen Liebe beobachtet. Gescheitert und desillusioniert Dieser Mittvierziger, den sein Schöpfer als alten Mann bezeichnet, ist auf der ganzen Linie gescheitert – desillusioniert in der Liebe wie im Beruf als landwirtschaftlicher Berater, ein Misanthrop am Rande der Selbstzerstörung. Von seiner letzten Partnerin, der Japanerin Yuzu, für die er nur Verachtung kennt, hat er sich getrennt, nachdem er auf ihrem Computer ein Video gefunden hat, das sie beim Sex mit Hunden zeigt. Die Ausgangsbasis liefert Houellebecq reichlich Munition für die üblichen Frauen verachtenden Tiraden – geile Schnitten treffen da auf welke Fleischsäcke – , sexuellen Abschweifungen und ausführliches EU-Bashing. All das kennen Houellebecq-Leser zur Genüge – und es wäre auch nicht der Rede wert, wenn es nicht einen zweiten Teil gäbe. Rückkehr in die Vergangenheit…

Rätselhaftes Georgien
Rezensionen / 4. Oktober 2018

Georgien, das Land zwischen den Kontinenten, 2018 Partner der Frankfurter Buchmesse, weckt immer mehr Interesse auch der Reisenden. Nicht jeder wird 40 Tage Zeit haben, um das schöne Land, das uns immer noch sehr fremd ist, zu erkunden, wie es Constanze John getan hat, als sie von Tiflis bis ans Schwarze Meer gereist ist und mit vielen Menschen über ihren Alltag und ihre Sorgen und Wünsche gesprochen hat. Einführung in die Minutenwelt Aber ihr dickes Buch kann zum besseren Verständnis der Kaukasusrepublik beitragen. Kann den Lesenden die „Minutenwelt“ der Georgier, Zutisopeli, nahe bringen oder auch den Geisterglauben, der in Swanetien beheimatet ist. Die Reisebuch-Autorin aus Leipzig lässt sich ein auf ihre Gesprächspartner, bringt sie zum Reden und erfährt so manch Interessantes: Etwa dass die schmackhaften Teigtaschen, die Chinkali, möglicherweise aus China kommen, aber im „Spirit von Georgien“ neu interpretiert worden seien, zu „einer Suppe mit Rindfleisch“. Überhaupt spielt bei den Begegnungen der 59-jährigen Autorin mit den Menschen vor Ort die Supra, der für Gäste reichlich gedeckte Tisch, eine wesentliche Rolle. Die Gastgeber übertrumpfen sich gegenseitig mit Leckereien, und der Alkohol löst die Zungen. Denn bei den Gastmahlen fließt der traditionell in Ton-Amphoren, den Quevris, gereifte Wein in Strömen. Mit den…

Der Wald als Seelentröster
Allgemein / 25. September 2018

Jetzt im Herbst ist jeder Wald  wie verzaubert. Doch nicht nur, wenn die Laubbäume ihr buntes Kleid tragen oder die Lerchen in Flammen stehen, lohnt sich eine Waldwanderung. Wer jeden Tag eine halbe Stunde im Wald spazieren geht, lebt angeblich gesünder. Die Vielfalt der europäischen Wälder Der Bildband „Waldwunder“ lädt dazu ein, die Vielfalt der europäischen Wälder zu erkunden: Den Urwald Bialowieza in Polen , die Zirbenwälder Österreichs, die Buchenwälder auf Rügen, die Tannenwälder der Hohen Tatra, die Arvenwälder in der Schweiz, die Nebelwälder auf La Gomera oder die Korkeichenwälder in Portugal. Die Autoren, allesamt Wald Enthusiasten , beschreiben den Wald als Seelentröster, als Märchenort, wo jeder sein eigenes Glück finden kann. Von der Ameise bis zur Weltesche Ein Wald ABC reicht von A wie Ameise über G wie Grimms Märchen und Y wie Yggdrasil, die Weltesche, bis zu Z wie Zaunkönig. Eine Märchenerzählerin gibt Auskunft, ein Ökophysiologe, ein Zapfensammler, eine Duft-Designerin. Ein Mann, der auf Zeit im Wald lebt, wird porträtiert, und die Leser erfahren allerlei Fakten zum Thema Wald etwa, dass es in Deutschland 90 Milliarden Bäume gibt und 76 Baumarten, dass der höchste Baum eine über 100 Jahre alte Douglasie im Stadtwald von Freiburg ist und der…

Gratwanderung zwischen den Welten
Rezensionen / 16. Juli 2018

Die Helden sind meist gewöhnlich, doch das, was um sie herum geschieht, ist außergewöhnlich. Das gilt auch für Haruki Murakamis „Die Ermordung des Commendatore“, vom Verlag in zwei Teilen herausgegeben. Nach „Eine Idee erscheint“ heißt es im zweiten Teil „Eine Metapher wandelt sich“ – und dieser zweite Teil fordert den Lesern noch mehr Bereitschaft ab, dem Dichter in eine Welt zu folgen, in der sich Realität und Fantasie mischen. Wären sie nicht vom ersten Teil her schon gut vorbereitet darauf, dass sich Fantasiewesen materialisieren, dass die Realität auch der Magie Platz lässt, der zweite Teil würde sie überfordern. Abenteuer zwischen Traum und Wirklichkeit   Doch Murakami hat den Boden sorgfältig bereitet: Der Commendatore, entwichen aus dem Gemälde zur Mozart-Oper „Don Giovanni“, diskutiert ganz real mit dem neuen Hausbewohner. Ein Freund, Sohn eines bekannten Malers, hatte dem in einer Ehekrise steckenden Berufsporträtisten das Haus seines Vaters als Zuflucht angeboten. Eben da findet der 36-jährige Gast das versteckte Gemälde „Die Ermordung des Commendatore“, und er lernt einen Milliarden schweren und rätselhaften Nachbarn kennen, den Steigbügelhalter zu all den kommenden Abenteuern zwischen Traum und Wirklichkeit. Man spürt schon den Einfluss Kafkas in den rätselhaften Passagen, die zwischen den Welten changieren. Die Philosophie der Dona…

Gegen den Strom
Rezensionen / 3. Dezember 2017

„Letztlich ist unsere Reise auch so ein Gegenentwurf, ein Gegenentwurf zu dem Touristenstrom, der sich durch den Rest Kopenhagens wälzt. Zu der Jetterei an die angesagtesten Destinationen dieser Welt.“ Die Journalistin Svenja Beller und der Fotograf Roman Pawlowski sind auch schon mitgejettet, waren am „Banana Pancake Trail“ in Südostasien, in Peru und in Nepal. Aber diesmal wollten sie alles anders machen, wollten sich treiben lassen – immer in Richtung Norden und teilhaben an fremden Leben. Das ist ihnen auch gelungen, sie haben jede Menge interessanter und teilnehmender Menschen kennengelernt, sind der Natur so nahe gekommen wie nie zuvor und haben auch erfahren, was es heißt zu scheitern. Gespräche öffneten Türen und Herzen Denn sie haben auf alles verzichtet, „was einen Filter zwischen uns und unsere Umgebung schiebt: Reiseführer, Smartphone, Laptop, Hotels, Vorrecherche“. Das hat sie vor manche Herausforderung gestellt, hat ihnen aber auch so manches Abenteuer beschert. Sich unbekannten Menschen aufzudrängen, fiel dem Paar nicht immer leicht, aber Gespräche öffneten vielfach Türen und auch Herzen. So reisen die beiden über Dänemark und Schweden bis weit hinauf in den Norden Norwegens, übernachten im eigenen kleinen Zelt, in Wohnwagen und Hütten, in Schlaf- und Wohnzimmern, am Strand und im Vorgarten – und…

Roadmovie mit Taxi
Rezensionen / 17. Oktober 2016

„Im Laufe des letzten Jahres hatten wir an den unmöglichsten Orten übernachtet: an russischen Crack-Buden, auf Grünstreifen in Industrieanlagen oder auf Artilleriefeldern im Iran…“ Ja, die drei Jungs aus Großbritannien haben sich so manches getraut, wovon normale Touristen“ nicht mal träumen würden. Die Idee, mit einem Taxi um die Welt zu fahren, wurde nach einer alkoholgeschwängerten Nacht im Pub geboren, und Alkohol fließt auch auf der Fahrt mit dem altersschwachen London Black Cab, das die drei abenteuerlustigen Freunde Johno, Leigh und Paul auf den Namen Hannah taufen, immer wieder in Strömen. Zwei Guinness-Rekorde bei der Weltumrundung Dass sie es trotzdem schaffen, mit ihren Taxi auf einen der höchsten Punkte der Erde zu fahren, das Everest Basis Camp, brachte ihnen einen Guinness Record ein, den anderen gab es für die längste Taxifahrt der Welt. Wer das Buch, das aus der Weltumrundung entstanden ist, liest, wird den Dreien ihren Rekord wohl kaum streitig machen. Dass sie die Fahrten durch den Irak und Pakistan ebenso überlebt haben wie den mörderischen indischen Verkehr oder die Hitzerekorde in Australien, war pures Glück. Und nicht jeder möchte bei seiner Reise als Couchsurfer bei fremden Menschen auf dem Fußboden pennen, sich von Einheimischen einladen lassen oder wegen…