Am Ende eines Lebens

15. Juli 2020

Kent Haruf, 1943 als Sohn eines Methodistenpfarrers geboren, hat sechs Romane geschrieben und sie alle in der  fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado angesiedelt. Hier hat  der amerikanische Autor alles konzentrierte, was für ihn amerikanische Lebensart ausmachte – die guten wie die schlechten Seiten. Sein letzter Roman „Unsere Seelen bei Nacht“ wurde mit Jane Fonda und Robert Redford verfilmt. „Benediction“ (Segen) nannte er seinen vorletzten, der 2013 in den USA veröffentlicht wurde. Unter dem Titel „Kostbare Tage“ ist er jetzt auf Deutsch erschienen.

Der Sterbende will sein Erbe bestellen

Dad Lewis hat Krebs. Er ist 77 Jahre alt und weiß, dass er sterben wird.  Kostbare Tage wird er vielleicht noch erleben. Dafür wollen seine Frau Mary und seine Tochter Lorraine sorgen. Nur der schwule Sohn fehlt. Das Zerwürfnis mit dem reaktionären Vater hat Frank aus dem Haus getrieben. Nun, in seinen letzten Tagen, würde Dad es gerne wieder gut machen. Auch andere Erinnerungen drängen in sein Bewusstsein. Der Eisenwarenhändler will sein Erbe bestellen.

Die Frauen halten die Welt zusammen

Aber es scheint, als würde nicht nur Dads Persönlichkeit sich allmählich auflösen, auch die Welt um ihn herum scheint zu zerfallen. Der neue Pastor wird aus der Kirche gejagt, weil er von Vergeben predigte, sein Sohn versucht sich umzubringen. Nur die Frauen halten die Welt noch zusammen. Und das Waisenmädchen Alice in der Nachbarschaft nährt die Hoffnung, dass es weitergeht mit dem Leben auch nach Dads Tod.

Quälende Schilderung der Pflegerituale

Dessen Tage vergehen quälend langsam, und die lakonische Beschreibung der täglichen Pflegerituale quält auch die Leser. Kent Haruf schont sie nicht; da ist nichts Poetisches in seinen detailreichen Beschreibungen, nur die Banalität des Todes. Doch während der sterbende Dad im abgedunkelten Zimmer mit den Gespenstern seiner Vergangenheit hadert, macht Alice erste Schritte in ein eigenständiges Leben. So nah liegen bei dem 2014 verstorbenen Kent Haruf Leben und Tod beieinander.  Sein Roman ist eine Herausforderung für die Leser, sich mit dem Leben und dem Tod auseinanderzusetzen.  Und mit den USA, die zu zerfallen drohen wie die Welt des Dad Lewis.

Hineingelesen…

… in Dads Seelenleben

Es war nur eine einfache, verfluchte Kleinigkeit, sagte Dad. Mehr nicht.
Was denn, Liebling?
Die Tränen da unten vor dem Laden. Das hat sie ausgelöst. Es war mein Leben, auf das ich da unten geblickt habe. Die Theke und dieser kleine Handel zwischen einem Kunden Und mir an einem Sommermorgen. Ein kleines Schwätzchen. Nur das. Und es war einfach nichts.
Nein, das stimmt nicht, es war nicht nichts. Es war alles.
Egal.Trotzdem musste ich heulen, als ich es heute sah. Ich habe geheult wie ein kleines Kind.
Das ist okay, Daddy, sagte Lorraine.
Ich weiß nicht, sagte er. Jedenfalls konnte ich nichts dagegen tun.
Mary und Lorraine hakten ihn zwischen sich unter, standen im Wind und blickten auf das Land.

Info: Kent Haruf. Kostbare Tage, Diogenes, 350 S., 24 Euro

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