Bücher zu Weihnachten

6. Dezember 2022

Reisen war lange Zeit in unseren Breiten eine Selbstverständlichkeit. Doch dann kam Corona, und nichts war mehr wie gewohnt. Einreiseverbote, Impfgebote, Maskenpflicht – das Reisen wurde beschwerlicher. Inzwischen sieht es so aus, als käme die alte Reisefreiheit zurück. Doch was ist mit dem Klimawandel, was mit dem Krieg in der Ukraine, der Inflation und was mit möglichen neuen Corona-Varianten? Was immer geht – auch in problematischen Zeiten – sind Reisen im Kopf. Und dazu laden die Bücher ein, die wir aus dem großen Angebot ausgesucht haben. Ob Nostalgiker, Naturfreundin, Wanderer, Fotografin oder Globetrotter – für jeden ist was dabei.

Vom Zauber des Lichts

German Roamers, das ist eine Community deutscher Landschafts- und Outdoor-Fotografierender. Für den Bildband „Eine Reise mit dem Licht durch Deutschland“ haben sie bekannte und unbekannte Orte zu verschiedenen Tageszeiten und in unterschiedlichster Beleuchtung fotografiert – zwischen Morgen- und Nachtlicht. Das Leipheimer Moos im Nebel etwa, die ersten von Bäumen gefilterten Sonnenstrahlen im Taunus, Nebelschleier am Allgäuer Bannwaldsee, vergoldete Hügel in der Pfalz, ein Wintermorgen in Berlin und viele, viele Sonnenaufgänge. Das Licht verwandelt das Vertraute, Sonnen- und Mondaufgänge lassen Gewohntes magisch erscheinen. Aber auch Tageslicht kann verzaubern, wenn man weiß, wie man harte Schatten vermeidet.

Tipps für Hobby-Fotografen
Die Roamers geben Tipps für die beste Tageszeit, den idealen Standpunkt, das Motiv. Schrecklich schön der Schrecksee im Allgäu, bunt der Winter im Harz, die Rakatzbrücke samt Katze. Und dann: Abendlicht. Abendglühen am Guggersee, vergoldeter Ostsee-Strand, brennende Himmel und eine Lightshow direkt vor der Haustür. Schließlich die Nacht mit einem hellen Mond über dem blauen Watzmann, mit erleuchteten Häusern in Freudenberg, mit Blitzen über Regensburg, einer Sternennacht im Hunsrück und Baumgespenstern im Moor. Wer die Roamers auf dieser Reise mit dem Licht begleitet, entdeckt Deutschland neu. Und wer mag, kann sich auch inspirieren lassen und selbst versuchen, Gewohntes in neuem Licht zu sehen. Merke: „Manchmal reicht es, die direkte Umgebung mit wachen Augen zu betrachten“, so Nikolaus Brinkmann über sein fantastisches Foto „Spaziergang im Herbstleuchten“.
Info German Roamers. Eine Reise mit dem Licht durch Deutschland,  Gräfe und Unzer,  240 S., 34 Euro

German Roamers/Gräfe und Unzer

Vom Reiz des Reisens

„Das war der Sommer 2001, ich war dann dreiundzwanzig und war hungrig, ich wollte diese Welt sehen, ich wollte da raus und sie mir reinziehen.“ Der Schweizer Arno Camenisch beschwört in dem Büchlein „Die Welt“ eindringlich die Gefühle eines Weltenbummlers, den Taxifahrer mehr interessieren als Sehenswürdigkeiten. Auf einer Terrasse am See blickt er zurück auf seine Reisen und darauf wie alles anfing. Nach dem ersten Jahr unterwegs war er zurückgekehrt ins Vertraute. Nicht lang, denn allzu schnell ertappte er sich dabei, „dass man wieder ausbrechen will aus diesem Gefüge, das man verlassen hatte“. Zu eng war ihm sein Alltag geworden „wie ein Mantel, der während eines Jahres im Schrank gehangen hatte“. Aber „man kann nicht das Leben in den Schrank hängen und es sich ein Jahr später wieder überhängen.“

Aufbruch und Ankommen
Er musste raus, wieder auf Reisen gehen. Das sagte ihm sein Gefühl: „Der Gedanke, komplett neu anzusetzen, das hatte so ein Flimmern, nicht zu wissen, was kommen würde, aber zu spüren, dass alles komplett anders würde, das machte mich an, das erregte mich, das machte mich komplett lebendig, das war für mich das Leben, es kickte mich so richtig.“ Und diesen Kick brauchte Camenisch als junge Mann – immer und immer wieder: „Was mir stets an den Reisen gefallen hatte, waren der Aufbruch und das Ankommen, das waren die besten Momente einer Reise, wenn man zu etwas aufbrach und wenn man an einem neuen Ort ankam. Das war das Leben, Aufbruch und Ankommen, das machte mich lebendig.“ Damit spricht er wohl vielen Globetrottern aus der Seele.
Info  Arno Camenisch. Die Welt, Diogendes, 137 S., 22 Euro

Vom Charme der Vergangenheit

Wie war das damals, als es noch keinen Tourismus gab, als die Menschen noch reisten? Das Bilder-Buch „Heute so schön wie damals“ erkundet legendäre Urlaubsorte in Europa, lässt den alten Baedecker zu Wort kommen, schmückt die Orte mit Retro-Momenten und Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der guten alten Zeit. Man erfährt, was es heute noch so gibt an Nostalgischem und was „Heute so gut wie damals“ ist und blättert gern durch die schön illustrierten Seiten, guckt sich an, wo Jane Austen kurte (in Bath) und wo die Pariser Aristokratie baden ging (in Deauville). Man bewundert die Eleganz der Grandhotels aus der Belle Epoque, blättert von Chamonix über Monaco bis Nizza und erfährt, wie aus einem Dorf aus 2000 Zelten aus Armeebeständen der noble Club Med wurde. Wie Mallorca zur Lieblingsinsel der Deutschen wurde. Oder was den Lago Maggiore so besonders machte.

Italiens legendäre Urlaubsorte
In Italien häufen sich die legendären Urlaubsorte geradezu: Rimini, Venedig, Florenz. Und Capri, Sinnbild für Dolce Vita. Mit Davos, Zermatt, St. Moritz wirft die Schweiz ihre Berge in die Waagschale, während Österreich mit K.u.K.-Sommerfrische punktet in Bad Ischl oder auch am Wörthersee. Und Deutschland? Natürlich Sylt, der Wannsee, der Schwarzwald. 360 Seiten von Europas Norden bis in den Süden, von West bis Ost. Da braucht man Zeit und Muse, um alle Texte zu lesen, alle Bilder zu bewundern. Am besten macht man das häppchenweise, um sich nicht mit Nostalgie zu überfüttern.
Info  Heute so schön wie damals – Legendäre Urlaubsorte in Europa, Kunth, 360 S., 29,95 Euro

Nostalgische Einladung: Hotel Normandy in Deauville

Vom Segen des Wanderns

Man muss nicht unbedingt ein Weitwanderer sein, um von Raynor Winns „Überland“ zu profitieren. Die britische „Nature-Writing-Autorin“ erzählt so poetisch wie plastisch von einer 1600 Kilometer langen Wanderung von den Grenzen Großbritanniens bis zurück nach Cornwall, die sie mit ihrem an einer unheilbaren Parkinson-Variante (Kortikobasale Degeneration) erkrankten Mann Moth unternahm – mit einem unerwarteten Ergebnis. Das Buch ist alles andere als die übliche Wandergeschichte. Es ist Naturbeschreibung, Liebesgeschichte, Zeitkritik und eine Auseinandersetzung mit dem Lebensweg. Das Paar hat sich schon einmal in einer schwierigen Situation auf den Weg begeben und damit Probleme gemeistert. Wird es auch diesmal gelingen? Die Lesenden begleiten die beiden mit wachsender Empathie auf einem immer länger werdenden Weg, über Höhen und Tiefen, durch Regen, Kälte, Wildnis und abschreckende Zivilisationsexzesse.

Träume verwirklichen 
Raynor Winn beschönigt nichts, nicht den Frust zwischendurch, den Dreck und die Nässe, nicht die Hoffnungslosigkeit, die Fragen nach dem Sinn des Ganzen. Sie schreibt über die Folgen des Brexit, über eine ausgezehrte Natur und die egoistische Sorglosigkeit der Menschen – und über die Trail-Magie, die alle Probleme vergessen lässt. Das Buch macht Mut, scheinbar unerfüllbare Träume zu realisieren – gegen alle Widerstände. „Es ist so einfach, das Leben aufzuschieben, die Träume, die man hat, ins oberste Regal zu legen, außer Sichtweite, damit man sich nicht eingestehen muss, dass sie unerfüllt sind. Allzu schnell geht alles zu Ende, ohne dass man seinen Hoffnungen Leben eingehaucht hat, ohne dass man ihnen die Chance gegeben hat zu fliegen.“ Raynor und Moth haben ihre Träume verwirklicht, sind über einen langen Weg bei sich selbst angekommen und freuen sich nach drei Wander-Monaten auf die Heimkehr. Und die Lesenden freuen sich mit ihnen.
Info  Raynor Winn. Überland, Dumont, 351 S., 17,95 Euro

Von der Magie des Verlorenen

„Temps perdu“ heißt dieser opulente Bildband, eine Truhe der in Frankreich verlorenen Schätze. Die Fotografen Stefan Hefele und Felix Röser haben Bilder geschaffen, die Sehnsüchte wecken nach der verlorenen Zeit, Aufnahmen voller Magie: Leere Fensterhöhlen, verlassene Dörfer, still gelegte Fabriken, verrottende Maschinen, überwucherte Kapellen. Kirchen, in denen die letzte Messe längst gelesen wurde. Psychiatrische Einrichtungen, von deren Insassen nur zerfledderte Patientenakten zeugen. Verlassene Herrenhäuser mit knarrenden Treppen, über die noch vor nicht allzu langer Zeit Schüler liefen. Vieles hat sich die Natur zurückgeholt. Die Verteidigungsanlagen, die zwar den Feinden trotzten aber nicht der Zeit. Auch Schlösser, von den Frankreich nicht weniger als 45 000 hat. In den leeren Sälen tanzt vielleicht noch die Dorfjugend.

Sentimentale Reise
In anderen hängen noch die Bilder der Ahnen auf verblassenden, zerrissenen Tapeten und geben eine Ahnung von vergangener Pracht und Herrlichkeit. Wieder andere wirken als hätten die Bewohner ihr üppig ausgestattetes Heim erst kürzlich verlassen. Zeitkapseln aus Stein. Der schwere Bildband lädt zu einer sentimentalen Reise durch alte Zeiten und vergessene Häuser. Der morbide Charme der grandiosen Bilder verzaubert, ist aber zugleich eine eindringliche Erinnerung an die Vergänglichkeit unserer Existenz. Auch wenn den Betrachtenden ob all der dekadenten Schönheit die Augen übergehen, sollten sie nicht versäumen, die Texte der Frankreichkennerin und -Liebhaberin Hilke Maunder zu lesen. Sie ordnen ein und verhelfen zu einem besseren Verständnis des Nachbarlandes, seiner Geschichte und seiner gegenwärtigen Probleme.
Info  Stefan Hefele/Felix Röser/Hilke Maunder. Temps Perdu, Frederking & Thaler, 288 S., Subskriptionspreis 98 Euro

Temps Perdu/Frederking & Thaler

Vom Wunder des Planeten

„Wir sind im Anthropozän angekommen. Es ist das Zeitalter, in dem der Mensch begann, sich die gesamte Erde untertan zu machen. Mit unserem Aufstieg begann der Abstieg der Natur. Spätestens seit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert verändert die Technosphäre unserer Erfindungen den Planeten grundlegend, und das mit erschreckender Geschwindigkeit. Es ist das Zeitalter radikaler Ausbeutung und rücksichtsloser Zerstörung der Erde und ihrer Lebensräume. Der Mensch hat die Symbiose mit dem Planeten verlassen und ist von dem Irrglauben befallen, sich über die Natur erheben zu können.“ Das ist das bittere Fazit des Wissenschaftlers Christian Klepp, nachdem er in „Wunderwerk Erde“ den Versuch gemacht hat zu erklären, wie unser Planet entstanden ist und wie er funktioniert. Weil Klepp diesen Planeten liebt, hat er ihn studiert und festgestellt, wie alles mit allem zusammenhängt.

Die Welt der Atome
In elf flott geschriebenen aber auch sehr komplexen Kapiteln lädt er zu einer kosmischen Reise – in die verborgene Welt der Atome, die Geburt unseres Planeten bis hin zu Klimasystem und Klimawandel. Klepp berichtet von längst verschwundenen Ozeanen und Kontinenten und dem, was sie hinterlassen haben: Bizarre Landschaften, lebensfeindliche Wüsten, Berge und Täler. Das Matterhorn etwa bestehe aus uraltem Gneis des afrikanischen Kontinents, während die Gipfelgrate der benachbarten Monte Rosa aus dem Gneis des europäischen Kontinents aufgebaut sind: „Der Gornergrat ist die Nahtstelle zwischen Afrika und Europa.“ Und die Kontinentalplatten verschieben sich weiter – womöglich zu einem neuen Kontinent Amasia – aus Amerika und Asien in rund 250 Millionen Jahren. Ob es da noch die Erde oder den Menschen gibt?
Info  Christian Klepp. Wunderwerk Erde – Wie unser Planet funktioniert, Edel Books, 352 S., 26 Euro

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