Der Feind in der Wohnung

26. Februar 2022

„Unser Glück“ heißt der Roman von Natalie Buchholz, und er erzählt vom Scheitern dieses Glücks.  Coordt und Franziska sind eigentlich ein glückliches Paar, und als der kleine Frieder noch dazu kommt, könnte alles perfekt sein. Doch es gibt immer etwas, was nicht so recht passt. Für die kleine Familie ist die Wohnung in Giesing zu klein geworden. Da kommt das Angebot einer großzügigen, ja luxuriösen Wohnung in einem Nobelviertel gerade recht, zumal die Miete eher moderat ist. Doch das Ganze hat einen Haken: Sie müssen einen Mitbewohner akzeptieren, den sie nicht kennen.

Das Glück kehrt zurück

Coordt,  dessen Perspektive Natalie Bucholz sich zu eigen macht,  ist skeptisch. Doch Franziska ist von der neuen Wohnung so begeistert, dass sich das Paar auf das Experiment einlässt.  Und tatsächlich scheint mit dem Einzug in die neue Wohnung das schon länger vermisste Glück wieder zurück in der jungen Familie.  Franziska lebt in der noblen Umgebung auf, findet in der Goldschmiedin Majtken eine bewunderte Freundin.

Der Mitbewohner als Brandbeschleuniger

Nur Coordt macht der unbekannte Mitbewohner zu schaffen. Zu Recht, wie sich bald herausstellen sollte. Denn der Mann begnügt sich nicht mit einem Geister-Dasein, er dringt in das Privatleben der Mieter ein, ja beraubt Coordt seiner Familie. Die vorher nur notdürftig verdeckten Risse in der Beziehung brechen wieder auf.  Da wirkt der fordernde Mitbewohner wie ein Brandbeschleuniger.

Unterschiedliche Reaktionen

Coordt ist dem Ganzen weniger gewachsen als Franziska. Er trauert der Vergangenheit ihrer Liebe nach. Franziska aber ist bereit, vieles auf sich zu nehmen, um die repräsentative Wohnung behalten zu können. Zu sehr hat sie sich an die Größe und den Komfort gewöhnt. Und Frieder? Hält zumindest anfangs die Eltern noch zusammen…
Natalie Buchholz hat die prekäre Lage auf dem Wohnungsmarkt aufgegriffen und sie zu einem spannungsgeladenen Psychothriller verarbeitet. Auch dank der schnörkellosen Sprache, die einen geradezu mitreißenden Sound entwickelt, ein Lesevergnügen mit Widerhaken.

Hineingelesen…

… Coordts Gedanken

Coordt fand es sexy, seine Frau so zu sehen. Gepflegt und in Schale geworfen. Er mochte das Selbstbewusstsein, das sie sich erstaunlich schnell angeeignet hatte. Auch gefiel ihm die Lebensfreude, die sie ausstrahlte, und wie sie mit einer Hand ihre Locken nach hinten warf und den Raum, in dem sie sich befand, mit Maiglöckchenduft erfüllt. Andererseits kam es ihm vor, als spiele Franziska nur die Franziska, die sie sich wünschte zu sein. Es wäre ihm lieber gewesen, sie würde niemanden nachahmen, sondern sich die Zeit nehmen, um Herauszufinden, wer sie wirklich sein wollte, und wer sie war. Doch ds tat sie nicht. Sie passte sich lieber gleich ihrer neuen Umgebung an. Der Nachbarin. Dem glänzenden Parkett. Den Originalbeschlägen. Den hohen Wänden mit Stuckverzierungen. Coordt fürchtete, sie würde in ein gefährliches Tief stürzen, solle Majtken ihr aus irgendeinem Grund den Halt nehmen, den sie ihr gerade bot.
Einmal, sie lagen im Bett, Franziska las gerade noch ein paar Seiten eines Krimis, versuchte Coordt, es ihr zu sagen. Er hatte nicht vor, an ihr herumzunörgeln oder sie zu kritisieren. Er wollte sie nur vor der Versuchung warnen, die er in in Majtken sah. Vor allem aber wollte er die Frau zurückhaben, die er geheiratet hatte. Die Frau vor der neuen Wohnung und vor Frieder. Die, mit der er Galerien besucht hatte, um dort heimlich eine ihrer Zeichnungen zu deponieren; die,mit der er mitten in der Nacht durch den Schnee gestapft war, weil sie die Ersten sein wollten, die ihre Spuren in ihm hinterließen; die, die sich zwar schon immer dafür interessiert hatte, was gerade en vogue war – er konnte sie den Begriff extra nasal aussprechen hören -, aber ihren eigenen Stil entwickelt hatte, den Franziskastil, nicht nur, was ihr Aussehen betraf, sportlich-elegant, sondern auch, wie sie sich bewegte, tänzelnd, wie sie redete, überlegt, und wie sie lachte, laut und frei heruas; die, mit der er geträumt hatte, einmal ein Haus voller bunter Wände und Kinder zu haben; die, die gesagt hatte, sie habe vor nichts und niemandem Angst, – was nicht stimmte, wie er im Laufe ihrer Beziehung erlebte, vor allem, als sie mit Frieder schwanger geworden war.

Info  Natalie Buchholz. Unser Glück, Penguin,224 S., 20 Euro

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