Sofia Lundberg erzählt gern von zwischenmenschlichen Beziehungen, von Freundschaft, Liebe, Verbundenheit. Das gilt auch für den dritten Roman der schwedischen Journalistin „Der Weg nach Hause“. Viola und Lilly sind beste Freundinnen, sie wachsen in enger Nachbarschaft auf und sind bis in die späten Teenager-Jahre unzertrennlich. Das verwöhnte Einzelkind Viola und Lilly aus einer armen aber stolzen Großfamilie ergänzen sich gegenseitig.
Symbolträchtiges Datum
Als Lillys Mutter bei der Geburt des kleinen Sture stirbt, ist es Viola, die Lilly Halt gibt. Den Todestag der Mutter und den Geburtstag des Bruders begehen die beiden Mädchen jahrelang gemeinsam. Das Datum begleitet auch durch die Kapitel des Buches. Doch alles andere ändert sich. Lillys Bruder Alvin wird für Viola bald mehr als ein großer Bruder. Lilly verstrickt sich in eine Affäre mit einem verheirateten Mann und muss wegen illegalen Schnapsbrennens ins Gefängnis.
Karriere als Sängerin
Ihre Zukunft sieht düster aus, doch dann macht sie dank ihre Stimme Karriere als Sängerin, wird weltweit gefeiert – und scheint Viola und ihre Freundschaft vergessen zu haben. Bis Viola, inzwischen Witwe und Urgroßmutter, einen Anruf aus Paris bekommt. Von Lilly, die sich verabschieden will. Die alte Viola macht sich samt Tochter, Adoptivtochter und Enkelin auf den Weg, um die Freundin nach hause zu holen.
Stärken und Schwächen
Mit Lillys Anruf beginnt Sofia Lundberg ihren Roman, der weit in die Vergangenheit zurückführt in die Geschichte einer fast symbiotischen Freundschaft. Was zum Bruch geführt hat, bleibt fast bis zum guten Ende unklar, auch wenn aufmerksame Leser ahnen können, wie alles zusammenhängt. Am stärksten ist der Roman, wenn es um die Freundschaft der beiden Mädchen geht, am schwächsten, wenn Lundberg das Auf und Ab in Lillys Karriere beschreibt und dabei kaum ein Klischee auslässt.
Versöhnlicher Schluss-Akkord
Auch ein bisschen weniger Pathos und Symbolik hätte der Geschichte gut getan und einige kitschige Szenen erspart. Trotzdem werden viele dieses Lied der Freundschaft mit seinem versöhnlichen Schluss-Akkord gerne lesen. Da kennt Sofia Lundberg ihre Leserinnen gut genug.
Hineingelesen…
… in Violas Erinnerungen
„Heute ist der Tag, an dem was passiert ist, Mama?2
Maj, Juni und Sara sehen Viola neugierig und fragend an. Sie wollen die ganze Geschichte hören. Aber Viola weiß nicht, wo sie aqnfange soll. Gedankenverloren fingert sie an dem weißen Korb, in dem Juni als Baby gelegen hat. Sie hat schon so lange nicht mehr über Lilly gesprochen, warum soll sie jetzt damit anfangen.
Sie räuspert sich ,legt ihre Hände aufeinander.
„Es muss etwa 1948 gewesen sein. Ist das wirklich so lange her?“
Viola verstummt und sieht mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster, denkt nach.
„Da warst du neun Jahre alt, Mama. Was ist damals passiert?“ fragt Maj und setzt sich neben sie. Sie legt die Ellbogen auf die Tischplatte und stützt ihren Kopf in eine Hand.
„Ja, das ist richtig. Wir waren neun Jahre alt. An diesem Tag starb Lillys Mutter im Kindbett, an Stures Geburtstag.“
„Du meinst den Sture, der im ICA-Supermarkt gearbeitet hat? Sonjas Bruder?“ fragt Juni. Sie lehnt an der Spüle und hat die Arme vor der Brust verschränkt.
Sara sitzt auf dem Boden und spielt mit Ellen, sie schüttelt eine Rassel, und die Kleine gluckst vor Freude. Sie erinnert Viola an den kleinen Sture von damals, den sie immer auf dem Arm herumgetragen hat. Die feinen blonden Haare, die mandelförmigen braunen Augen. Einige Babys ähneln einander mehr als andere.
„Ja, ganz genau. Der kleine, zarte Sture. Er hat im Nachbarhaus gewohnt. Oh, er hat so viel Unsinn mit euch angestellt und gespielt, als ihr klein wart. Ihr erinnert euch vielleicht nicht mehr daran.“
„Doch, ich weiß noch , dass er immer im Garten mit uns Verstecken gespielt hat. Jetzt erinnere ich mich wieder. Aber so zart war er nicht gerade.“
„Nein, er ist mit den Jahren kräftiger geworden. Aber als Kleinkind war er sehr dünn. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“, sagt Viola lachend.
„Eigentlich ist es ein ganz schöner Gedanke, dass Lilly vielleicht am Todestag ihrer Mutter stirbt“, meint Juni und umarmt ihre Mutter innig. Viola tätschelt ihre Wange.
„Ach was, am Tod ist nichts schön. Er macht nur traurig. Er ist hinterlistig und gemein.“ Viola überkommt eine große Trauer, sie beißt sich auf die Lippe. „Ich habe mich mein ganzes Leben danach gesehnt, sie wiederzusehen. Noch einmal mit ihr reden zu können. Ich habe so viele Fragen, auf die ich nie eine Antwort bekommen habe.“
„Was denn für Fragen? Gibt es etwas Ungeklärtes zwischen euch?“ fragt Maj und umarmt ihre Mutter von der anderen Seite. Viola genießt den Moment, beide Töchter im Arm zu haben. Sie ist nicht allein. Sie nimmt ihre Hände und drückt sie, so fest sie kann.
„Das gibt es doch immer. Eine Freundin, die einem so nah war, die vergisst man nicht mehr. Da spielt es keine Rolle, wie oft man sich sieht. Sie ist immer in meinem Herzen gewesen. All die Jahre. Und jetzt wird sie…“ Ihre Stimme versagt:“… zu einer Erinnerung.“
Info Sofia Lundberg. Der Weg nach Hause, Goldmann, 366 S., 20 Euro
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