Papyrus: Das Überleben der Worte

5. August 2022

Papyrus ist ein Buch über Bücher. Und was für eines! Fabelhaft! Die Spanierin Irene Vallejo erweist sich mit  „Papyrus“ als versierte und wortmächtige Anwältin des gedruckten Buches. Ihre über 700 Seiten dicke Geschichte der Welt in Büchern beginnt im 3. Jahrhundert vor Christus mit der Weltbibliothek von Alexandria und endet mit der Absetzung des letzten römischen Kaisers Romulus Augustus im Jahr 476 nach Christus.

Vom Papyrus zum E-Book

Dazwischen hat Irene Vallejo viel Zeit und Gelegenheit für Anekdoten, Rekurse auf historische Quellen, Ausflüge in die Gegenwart, ja sogar Kriminalgeschichten. Immer geht es um das Überleben der Worte, ob auf Stein, Ton, Schild, Leder, Holz oder Papier. Es war ein weiter Weg vom gerollten Papyrus der Ägypter über das Pergament der Griechen bis zum E-Book und den Graffiti.

Fesselnd wie ein Abenteuerroman

Irene Vallejo erzählt eine Überlebensgeschichte so fesselnd wie ein Abenteuerroman: „Das Buch hat sich im Laufe der Zeit bewährt, es hat sich als Langstreckenläufer erwiesen. Wann immer wir aus dem Traum der Revolutionen oder dem Alptraum der Katastrophen erwachten, war das Buch noch da. Es ist, so sage Umberto Eco ‚ein technisch vollendetes Meisterwerk‘.“

 

Eco ist nicht der einzige Literat, auf den sich Vallejo bezieht, unter anderen treten auch Jorge Luis Borges („Die Bibliothek von Babel“), Homer („ein Name ohne Biographie“), Ovid, die Dichterin Sulpicia, Petrarca, Virginia Woolf, Tolkien und Salman Rushdie auf, dazu griechische Philosophen, römische Kaiser, Büchernarren und Buchhändler. Die unglaubliche Themenfülle kann Lesende überfordern, wenn sie sich zu viel zumuten. Dafür werden sie mit einem Füllhorn von Wissen über Bücher und Literatur beschenkt, die ihresgleichen sucht. Denn Irene Vallejo erweist sich buchstäblich als fabelhafte Erzählerin.

Hineingelesen…

… in die Literatur der Frauen

Und dennoch haben Frauen seit der Antike Geschichten erzählt, Romanzen gesungen und mit Liebe am Feuer Verse gefügt. Als ich Kind war, entfaltete Mutter vor mir das Universum der Flüstergeschichten. Das war kein Zufall. Im Laufe der Jahrhunderte waren es vor allem die Frauen, die des Nachts die Erinnerungen an die alten Erzählungen ausgruben. An ihren Spinnrädern oder mit den Schiffchen am Webstuhl sitzend, spannen sie über Jahrhunderte hinweg: Geschichten und Gewebe gleichermaßen. Sie waren die ersten, die das Universum in Maschen und Geflechten versinnlichten und ihre Freuden, Illusionen, Ängste, Schrecken und persönlichen Überzeugungen mit hineinwirkten. Sie haben der Eintönigkeit Farbe verliehen, verflochten Verben, Wolle, Adjektive und Seide miteinander. Texte und Texturen haben viele Wörter gemein: Seemannsgarn, Handlungsknoten, roter Faden, Erzählstrang, Hirngespinst, sich verhaspeln, den Faden verlieren oder wieder aufnehmen, zarte Fäden spinnen, einen Streit glätten. Die alten Mythen erzählen vom Tuch der Penelope, den Tuniken der Nausikaa, den Spinnerinnen um Arachne, dem Ariadnefaden, dem von Moiren gesponnenen Lebensfaden, den von Nornen gesponnenen Schicksalen, dem magischen Wandteppich der Scheherazade…
… Heute schreibe ich, damit die Geschichten nicht versiegen. Ich schreibe, weil ich weder nähen noch stricken kann. Auch das Sticken habe ich nie gelernt, spinne aber gern mein Garn. In meinen Erzählungen verwebe ich Fantasien mit Träumen und Erinnerungen. Ich fühle mich als Erbin jener Frauen, die seit eh und je Geschichten woben und wieder aufzogen. Ich schreibe, damit der Faden all dieser Stimmen nicht abreißt.

Info Irene Vallejo. Papyrus, Diogenes, 752 S., 28 Euro

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