Zerbrochene Träume

16. August 2023

Paradise Garden heißt der Eisbecher, den Billie und ihre Mutter sich am Monatsanfang gönnen, und so heißt auch der Roman von Elena Fischer über eine Mutter-Tochter-Beziehung, die zu einer Tochter-Vater-Suche wird. Die 36-jährige Autorin hat für ihr Debüt den Literaturförderpreis ihrer Heimatstadt Mainz erhalten. Zu Recht, denn dieser Coming-out-of-age-Roman ist gleichzeitig zauberhaft und komplex, sanft und knallhart.

Aus der Sicht einer 14-Jährigen

Erzählt wird er aus der Sicht der 14-jährigen Billie, die gleich zu Anfang feststellt „Vierzehn ist ein beschissenes Alter, um seine Mutter zu verlieren.“ Und für Billie ist alles noch viel schlimmer, weil sie praktisch in einer Art Symbiose mit ihrer Mutter gelebt hat – in einem heruntergekommenen Haus, mit abgehängten aber liebenswerten Nachbarn, mit wenig Geld aber viel Fantasie. Vor allem die Mutter ist groß darin, den Alltag zu verzaubern. Mit ihren zwei Jobs verdient sie zwar gerade mal soviel Geld, um mit Billie über die Runden zu kommen. Dafür ist sie eine Meisterin im Träumen oder sollte man besser sagen, im Vertuschen der Wirklichkeit?

Bedrohte Zweier-Idylle

Für Billie jedenfalls ist die Mutter  über jede Kritik erhaben, auch wenn sie ihrer Tochter nie verraten will, wer ihr Vater ist. Als dann eines Tages die ungarische Großmutter unangemeldet ins Haus schneit, ist die Zweier-Idylle bedroht. Die bodenständige Oma hat wenig Sinn für die Wolkenkuckuckshäuser von Tochter und Enkelin und zieht sich den Zorn Billies zu. Auch Lea, die beste Freundin aus reichem Haus und ihre Mutter, bei denen sich Billie immer wohlgefühlt hat, bekommen den Zorn des Mädchens zu spüren, weil sie sich abschätzig über ihre Lebensverhältnisse geäußert haben.

Vertreibung aus dem Paradise Garden

Und dann ist die Mutter tot, von jetzt auf gleich, unglücklich gestürzt. Und für Billie endet das, was sie als ihr Leben betrachtete: „Ein Lied im Radio war nur noch Geräusch und keine Einladung mehr, mitzusingen, obwohl keine von uns den Text kannte. Ein Regenguss war nur noch Wetter und keine Gelegenheit mehr, nach draußen zu laufen und barfuß in einer Pfütze zu tanzen.“ Es ist die Vertreibung aus dem Paradise Garden, und im Heim wird ihr klar: „Mein Leben war in zwei Teile zerfallen. In ein Davor und in ein Danach. Davor war meine Mutter die Antwort, danach war sie die Frage.“

Suche nach dem Vater

Billie will weder im Heim bleiben, noch zur ungeliebten Großmutter, der sie die Schuld am Tod der Mutter gibt. Irgendwo, ist sie überzeugt, muss es den Vater geben, der Antwort geben kann auf ihre Frage nach der Mutter. So wird aus der Mutter-Tochter-Geschichte erst eine Art Road-Trip, der in eine Vater-Tochter-Geschichte mündet. Doch Billie muss noch so manche Enttäuschung verkraften, ehe sie wirklich ankommt – in der Realität. Und dann ist alles gar nicht mehr so schlimm, denn Billie findet ihre eigene Stimme, ihre eigene Geschichte.

Sympathische Protagonistin

Elena Fischer gelingt es, die Stimmungsschwankungen der 14-jährigen Billie in Worte zu kleiden. Mal poetisch, mal rotzig. Und so folgt man ihrem verschlungenen Weg mit viel Sympathie.

Info Elena Fischer. Paradise Garden, Diogenes, 350 S., 23 Euro

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