Lesend auf Reisen gehen
Reisebücher , Rezensionen / 22. November 2022

„Wir können nicht ruhig zu Hause sitzen. Das liegt in unserer Natur“, schreibt John McMurtrie im Vorwort zu dem fabelhaften Bildband „In 80 Büchern um die Welt“. Der Lebensweg als Reise hat die Fantasie der Dichter seit Urzeiten beflügelt – von Homers Odyssee bis zur Migration in unserer Zeit. Von Robinson bis Dracula Mit den in dem Band versammelten Büchern dringen die Lesenden „in alle Winkel“ der Erde vor, begleiten Huck Finn auf dem Mississippi, Robinson Crusoe auf seiner Insel, Don Quichotte in der Mancha, Dracula auf seinen blutigen Beutezügen oder Jack Kerouac beim Unterwegssein. Literaturforschende haben die Auswahl zusammengestellt und sich mit dem Reise-Kern der Bücher auseinandergesetzt. Über den Horizont hinaus So gehen die Lesenden nicht nur auf Reisen im Kopf, wozu die zahlreichen Illustrationen einladen – sie erfahren auch viel über die Bücher und ihre Autoren. Über John Steinbeck und „Die Früchte des Zorns“, wo schon Probleme wie Umweltzerstörung, Völkerwanderung und Obdachlosigkeit thematisiert werden. Über Jules Vernes „Reise um die Erde in 80 Tagen“ mit der Botschaft „Reisen erweitert den Horizont“. Oder über Yann Martels „Schiffbruch mit Tiger“, eine fantastische Geschichte über Erwachsenwerden, Überbevölkerung und den Konflikt zwischen Mensch und Tier. Entdeckungen im Lehnstuhl Schließlich auch zu Wolfgang…

Erkundung des Jenseits
Reisebücher , Rezensionen / 7. November 2022

Wie kein anderer Monat gemahnt der November die Menschen an die Endlichkeit des Lebens. Von der „letzten Reise“ ist oft die Rede. Wie das Ziel dieser Reise aussehen könnte, darüber haben sich die Menschen immer schon den Kopf zerbrochen. Doch Himmel und Hölle spielten in allen Vorstellungen eine wichtige Rolle. Im Atlas des Teufels  lädt Edward Brooke-Hitching mit fantastischen Illustrationen und ebenso kundigen wie respektlosen Texten zu einer ganz besonderen Reise ein. Reise durch die Höllen der Religionen „Das vorliegende Buch ist ein Atlas des Jenseits, ein Führer in das ‚unentdeckte Land, von des Bezirk kein Wanderer wiederkehrt‘“, schreibt Edward Brooke- Hitching im Vorwort. Mit dem  Atlas des Teufels  hat sich der Engländer nicht weniger vorgenommen als eine Erkundung des Jenseits. „Wie sind die Orte konkret beschaffen, und wen kann man dort antreffen“, fragt der Autor und nimmt die Lesenden mit auf eine fabelhafte Reise durch die Höllen der Religionen, Philosophien und Künste. Drastische Darstellungen der Höllenstrafen Einfach ist das Ganze nicht, auch wenn die Höllenbilder aus den unterschiedlichsten Kulturen auffallende Ähnlichkeiten haben. Wobei die Jenseits-Vorstellungen oft reichlich bürokratisch daherkamen – mit Abteilungen und Unterabteilungen und strengen Regeln für die Bestrafung der Sündigen oder auch die Belohnung der Seligen. Die…

Schön zum Gruseln
Reisebücher , Rezensionen / 31. Oktober 2022

Schaurige Welt:  Wenn das nicht das richtige Buch zu Halloween ist! Dieser Bildband mit Gruselfaktor enthält schaurig schöne Bilder von verlassenen Städten, Spukhäusern, Friedhöfen, von unheimlichen Naturphänomenen und dem durch Atombombenversuche zerstörten Inselidyll Mururoa. Lektüre auf eigene Verantwortung, heißt es warnend im Vorwort. Untote und Voodoozauber Es geht schon gleich richtig los mit den Untoten auf Amrum und Sylt, Ertrunkenen, die keine Ruhe finden, bis jemand an sie denkt. Auch die verrottende Pracht des ehemaligen Schlosshotels Waldlust im Schwarzwald wirkt ziemlich gruselig, fast so sehr wie das rumänische Schloss Bran, das sich als Draculas Heimstatt vermarktet oder das Stanley Hotel, das Stephen King zu seinem Roman „Shining“ anregte. Und dann noch der Fetischmarkt Akodessewa in Togo, der weltgrößte Voodoo-Basar für Zauber-Utensilien wie Schimpansenpfoten, vertrocknete Krokodilköpfe, Tier- und Menschenschädel in unterschiedlichsten Stadien der Verwesung. Das will man lieber nicht so genau wissen… Natronsee und Lost Places In sechs Kapiteln erkundet Schaurige Welt  die „dunkle Seite“ und stellt 90 Orte „zum Fürchten und Staunen“ vor. Da dürfen unheimliche Phänomene nicht fehlen wie der Natronsee in Tansania: Wer im See stirbt, heißt es, wird kalzifiziert, erstarrt zu Stein. Auch all die „lost places“, die verlassenen Orte, können ganz schön gruselig sein. Selbst ein…

50 Euro – gut investiert
Reisebücher , Rezensionen / 18. Oktober 2022

„Kann man mit 50 Euro pro Tag die Metropolen dieser Welt erfahren?“ Diese Frage, die sich angesichts der weltweiten Preissteigerungen immer drängender stellt, versucht dieses Polyglott-Buch zu beantworten. Allerdings klärt Christoph Drösser schon im Vorwort darüber auf, dass in der Summe die Übernachtungskosten nicht einbezogen sind. Die 50 Euro beziehen sich also auf den Urlaubstag – vom Morgenkaffee bis zum Absacker am Abend. Dabei ist die ganze Kalkulation natürlich auch abhängig vom Wechselkurs des Euro, der derzeit gegenüber dem Dollar im Sinkflug ist. Tipps  von Insidern Die Vorschläge im knapp 290 Seiten dicken Buch stammen von Autorinnen und Autoren des Vereins „Weltreporter.net“, die aus aller Welt berichten und schon ein paar Jahre in den Ländern leben, aus denen sie berichten. Sie alle teilen ihre Lieblingsgegenden, die sehr unterschiedlich sind und sich oft zu Fuß oder auch mit dem Rad erkunden lassen. Schlemmertour in Bangkok In Amsterdam klappt das schon für 45,88 Euro inklusive Fahrrad-Miete und bester Aussicht vom schiefen Dach des Nemo. In Bangkok ist bei 47,20 Euro fast schon eine Gourmet-Schlemmertour drin, sogar mit Cocktail und Taxi. In Edinburgh muss man mit 54,10 Euro schon tiefer in die Tasche greifen, kommt dafür aber umsonst ins National Museum of Scotland…

Reisen als Lebenselixier
Reisebücher , Rezensionen / 11. Oktober 2022

Elke Heidenreich ist nicht nur eine interessierte Buchkritikerin, sie ist auch eine engagierte Reisende. Und davon erzählt sie in dem Hörbuch „Ihr glücklichen Augen“ – ganz so, als würde sie sich mit Freunden über ihre Reisen in alle Welt unterhalten. Dass Elke Heidenreich ihre auch in Buchform (Hanser Verlag) erschienen Reise-Erlebnisse selbst spricht, ist ein echter Glücksfall. Macbeth in Schottland Denn so kommen diese Reisen authentisch rüber, man glaubt ihr einfach, dass sie in Schottland auf den Spuren von Macbeth unterwegs war und in Wales auf denen von Dylan Thomas, dass sie sich in Lissabon Fernando Pessoa nahe gefühlt hat, dass sie sich im legendären Hotel Waldhaus im schweizerischen Sils Maria mit Literaten und Künstlern getroffen hat. Kritik am „name dropping“ Der ihr nicht immer wohl gesonnene Literaturkritiker Denis Scheck hat das „name dropping“ im Buch kritisiert. Mag sein, dass die Aneinanderreihung von klugen Zitaten noch klügerer Menschen am Anfang im gedruckten Exemplar nervt – sie tut es, wenn auch in geringerem Maße – auch im Hörbuch. Aber das ist schnell vergessen, wenn Elke Heidenreich von den Landschaften schwärmt, die sie durchwandert, von den Menschen, die sie getroffen hat. Schnoddrig und melancholisch Man hört ihr einfach gern zu, wenn sie…

Alltagssprache und Webslang
Reisebücher , Rezensionen / 5. Oktober 2022

Francoise Hauser ist Sprachwissenschaftlerin und sie weiß: Wer mehrere Sprachen spricht, tut sich in unserer globalisierten Welt leichter. Auch beim Reisen. Wobei manche Sprachen für Europäer leichter erlernbar sind als andere. Francoise Hauser hat sich die Mühe gemacht, die Besonderheiten auch asiatischer oder afrikanischer Sprachen aufzulisten. Japanisch und Chinesisch mit ihren sehr speziellen Schriften etwa oder Arabisch. Rund 6000 Sprachen gibt es auf der Welt und jede Menge Dialekte. 16 000 Wörter plappert jeder Mensch pro Tag. Da könnte es einem schon schwindeln ob der schieren Menge. Immerhin beruhigend, dass man mit einem Alltagswortschatz von 2000 bis 5000 Wörtern auskommen kann. Rück- und Einblicke in die Sprachen Doch Francoise Hauser begnügt sich nicht mit Aufzählungen, sie geht in dem dicken Buch in die Tiefe, zeigt, wie politische Verhältnisse sich auf die Sprache auswirken, wie Wörter reisen und wie Sprache und Denken zusammenhängen. Dazu gibt es nicht nur kurze Rück- und Einblicke, sondern auch lange Auflistungen von Wörtern und ihre Übersetzungen, die für die meisten wahrscheinlich kaum nutzbar sind. Es sei denn, sie interessieren sich für Chinesisch oder Koreanisch. Alte und neue Sprachen Aber die Sinologin erzählt auch von der Wiederbelebung des Hebräischen, das den Juden in aller Welt und dem…

Kraft tanken beim Wandern
Reisebücher , Rezensionen / 28. September 2022

Zwei Jahre waren Nina Stögmüller und Robert Versic auf der Suche nach Kraftplätzen im Salzkammergut unterwegs. Entdeckt haben sie viele: Kultplätze, Kapellen, heilkräftige Quellen, Wallfahrtsorte. In ihrem Buch „Märchenhafte Kraftplätze“ stellen sie 25 Wanderungen vor, die dazu einladen, im Salzkammergut Kraft zu tanken. Gemütlich bis abenteuerlich Die meisten Touren sind Rundwanderungen und sollten für „wandererfahrene Personen gut zu bewältigen sein“, wobei es auch da Unterschiede gibt. Manche Tour wie die zur Ewigen Wand und zum Predigtstuhl beinhaltet steile Felsstufen oder Drahtseilsicherungen, andere Wanderungen wie die zum Altausseer See und Gaisknechtstein sind eher gemütlich, wieder andere wie die zu den Steinklüften überraschen durch abenteuerliche Felsspalten und Kammern. Nixe und Eichhörnchen Dass Namen wie „Hexenküche“, „Felsentempel“ oder „Kalte Kuchel“ die Märchenerzählerin Nina Stögmüller zu eigenen Märchen inspirieren, kann man sich gut vorstellen. Ganz besonders märchenhaft ist die Wanderung zum Nixenfall beim Attersee. Und im Märchen vom Eichhörnchen und der Zaubernuss erwacht die sagenhafte Nixe zum Leben. Erfahrung mit Kraftplätzen Zu allen 25 Wanderungen hat die Autorin nicht nur Märchen und Sagen, sondern auch „Kraftplatzerfahrungen“ gestellt. Bei der Wanderung zur Falkensteinkirche am Wolfgangsee etwa ist es nicht nur das Heilwasser des Heiligen Wolfgang, der hier als Einsiedler lebte. Es ist auch der Durchschlupfstein,…

AlpenEis: Alles fließt
Reisebücher , Rezensionen / 26. September 2022

Man sieht es nicht, aber Gletschereis fließt – langsam und stetig. Zwischen zehn und 200 Metern pro Jahr, schreibt Angelika Jung-Hüttl in dem beeindruckenden Bildband AlpenEis. Mit diesem Fließen ist allerdings nicht das Schmelzen des Eises gemeint, das in den letzten Jahren bedrohliche Formen angenommen hat. Abschied vom ewigen Eis Ewiges Eis? Das war einmal. Der Geologe und Landschaftsfotograf Bernhard Edmaier stellt Fotos gegenüber, die er in einem Zeitraum von 20 Jahren aufgenommen hat. Eindrucksvoll dokumentieren sie den Gletscherschwund. Aber sie zeigen auch die Schönheit von AlpenEis : Die zerklüftete Gletscherlandschaft der Seracs, die blaugrünen Schmelzwasserseen am Ende der Gletscherzungen, die verzweigten Rinnsale aus den Tiefen des Eises. Die Gletscher schwinden Dann aber auch das: Gesteinsmassen am Rand der Gletscher, Moränenschutt auf den Eis, graue statt weiße Gletscher und vom tauenden Permafrost gespaltene Gipfel. Alles ist im Fluss. Die Gletscher schwinden wie der kleine Höllentalgletscher an der Zugspitze, neue Landschaften entstehen. Wo sich das Schmelzwasser der Gletscher ansammeln kann, entstehen Seen, auf den Steinwüsten, die zurückweichende Gletscher hinterlassen, keimt neues Leben. Gletschersturz an der Marmolada Noch gibt es rund 4400 Gletscher in den Alpen, aber vielen von ihnen droht der „Tod durch Klimaerwärmung“ wie dem Pizolgletscher im Schweizer Kanton Glarus….

Ein fröhlicher Landstreicher
Reisebücher , Rezensionen / 13. September 2022

Stephan Orth liebt das Reisen, gern zu Sofas in aller Welt. Doch in Corona-Zeiten war es nichts mit Couch-Surfing. „Nun stattdessen Einreisebeschränkungen, Flugausfälle, Abstandsregeln. Es ist, als wolle uns ein mikroskopisch kleines Virus klarmachen, endlich mit den Makro-Reiseexzessen aufzuhören und einzusehen, dass es nicht normal ist, für ein Viertel oder Sechstel eines Monatsgehalts um die halbe Welt zu fliegen.“ Aus- statt eingesperrt Doch immer nur zu Hause zu sitzen war auch nichts für den umtriebigen Journalisten, zumal er sich auch immer bewusst ist, dass „ohne persönliche Begegnungen ferne Länder immer abstrakter werden“. So kam er auf die Idee, vier Wochen durch sein einstiges Lieblingsland England zu reisen und dabei immer draußen zu bleiben. Aus- statt eingesperrt also. Zu Fuß, mit dem Rad, auch mal auf dem Fluss in einem Paddelboot. Ein Weg ohne Reiseführer „Ich bin eine Art pandemischer Katastrophentourist“, schreibt Stephan Orth am Anfang. Als solcher wird er viel erleben und sich immer mehr ans Draußensein gewöhnen. Und am Ende, nachdem er mehr als 750 Kilometer aus eigener Kraft geschafft hat „auf einem Weg, der in keinem Reiseführer der Welt vorgeschlagen wird“, könnte er sich vorstellen, wieder mal „ein fröhlicher Landstreicher mit Kreditkarte, Regenjacke und Auslandskrankenversicherung“ zu sein. Ein…

Viel Neuland in Nordpolen
Reisebücher , Rezensionen / 10. September 2022

Nordpolen,  das ist  ein eher unbekannter Landstrich zwischen Westpommern und Podlachien.  Mit seinem gleichnamigen Buch  will Carsten Heinke Lust auf Polen machen und Lust darauf, Neues zu entdecken. Also nicht die allseits bekannten Masurischen Seen, sondern lieber die nicht weniger schöne Pommersche Seenplatte. Nicht die Altstadt von Danzig, sondern das alte Werftgelände, Keimzelle des Widerstands der Werftarbeiter unter Lech Walesa gegen die kommunistische Diktatur und mit, wie der Autor meint, „großem Zukunftspotenzial“. Podlachien und die Dünen von Leba Und dann die menschenleere Woiwodschaft Podlachien im Vierländer-Eck Polen, Russland, Litauen und Belarus mit 23 Nationalparks. Unter seine Top 10 in Nordpolen  rechnet Heinke die Altstat von Stettin und die Dünen von Leba, höchster Wandersandberg Polens, die Marienburg, das größte Werk der Backsteingotik, oder auch den Nationalpark Bialowieza mit seinen Wisent-Herden. Schiffe auf Schienen und Krummer Wald Auch Kuriositäten hat der Reisejournalist in Nordpolen entdeckt. Zum Beispiel den Oberlandkanal, wo auf einem Abschnitt Schiffe auf Schienen den Berg hochfahren oder den krummen Wald bei Gryfino, zu deutsch Greifenhagen. Kariertes Land der Slowinzen Wikinger, Slawen, westslawische Slowinzen, Tataren, Kaschuben, Juden – sie alle haben in Nordpolen ihre Spuren hinterlassen. Heinke empfiehlt zur Geschichte die Heimatmuseen wie das Freilichtmuseum in Kluki zu den Slowinzen….