Was will Greta?
Rezensionen / 19. Dezember 2019

Greta Thunberg kennt heute jedes Kind. Die 16-jährige Schwedin mit den Zöpfen ist zur Ikone der Umweltbewegung geworden, seit sie sich mutterseelenallein mit einem Plakat „Skolstrejk for Klimatet“ vor den Schwedischen Reichstag in Stockholm setzte, um gegen den Klimawandel zu protestieren. Das ganze Jahr über gingen auf aller Welt junge Menschen auf die Straße, um wie Greta  gegen Umweltverschmutzung und Erderwärmung zu demonstrieren. Angst um die Zukunft unserer Welt „Fridays for Future“ sollte zum Weckruf für die Politik werden. Denn vor allem die jungen Menschen fürchten um ihre Zukunft. Die Italienerin Viviana Mazza, die auch schon über das Leben der jungen pakistanischen Menschenrechtlerin geschrieben hatte, erzählt in dem Büchlein „Jeden Freitag die Welt bewegen“, wie aus einer oft gemobbten schwedischen Schülerin mit Asperger Syndrom eine Heldin unserer Tage wurde. Sie zeigt auf, was Greta bewegt und was ihre Altersgenossinnen und -genossen auf die Straße treibt. Was tun gegen den Klimawandel? Im  Anhang werden die wichtigsten Begriffe rund um den Klimawandel  erklärt.  Auch,  was jeder Einzelne dagegen unternehmen kann, lässt sich hier nachlesen. Das Büchlein ist leicht zu lesen, es regt zum Nachdenken an und sensibilisiert vielleicht auch die Eltern oder Lehrer, sich Gedanken über die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder…

Tote Kumpel und ein alter Hass
Rezensionen / 3. Juli 2019

„All diese Reliquien, sagte sie, machen mein Herz zu Stein.“ Cécile, die Frau des Ich-Erzählers Michel Flavent in dem neuen Roman von Sorj Chalandon, kann nicht verstehen, warum ihr Mann in seiner Werkstatt eine längst vergangene Tragödie am Leben hält: Das Grubenunglück in der Zeche Saint Amé von Lievins, dem 42 Bergleute zum Opfer fielen. Auch Joseph Flavent, genannt Jojo, überlebte es nicht. Nach Meinung von Michel, der den älteren Bruder über alle Maßen bewunderte, wurde Jojo „im Alter von 30 Jahren durch die Grube ermordet“. Rachefeldzug nach 40 Jahren Als Cécile stirbt, fühlt sich Michel frei für den Rachefeldzug, den er seit 40 Jahren geplant hat. Ziel ist der Vorarbeiter, der damals für die Sicherheit des Schachts verantwortlich war und der bei der Trauerfeier für die toten Bergleute nicht geweint hat. Michel schließt sein Leben in Paris ab und kehrt heim ins ehemalige Revier, wo er per Zufall auf sein „Opfer“ stößt. Lucien Dravelle ist inzwischen ein alter Mann, der auf den Rollstuhl angewiesen und Michel eigentlich ganz sympathisch ist, „ein armer Teufel mit einem Atemgerät“, ein Greis im Rollstuhl. Dennoch hält er an seinem Plan fest. Das Gericht wird zur Bühne eines Familiendramas Bis dahin hat es der…

Das Leben ist kein (Glücks)Spiel
Rezensionen / 6. Januar 2019

  Das Leben war schon schwer im von den Japanern besetzten Korea, in Japan selbst wird es manchmal unerträglich, ja, es kann sogar tödlich enden für die „Zainichi“, die Ausländer mit Wohnsitz in Japan – und speziell für die Koreaner. Sie sind geduldet aber verachtet, leben meist in Gettos und haben kaum Rechte. Ja, sie werden sogar gezwungen, einen japanisierten Namen anzunehmen, damit sie nicht abgeschoben werden. Nur für Schweine und Koreaner Für Sunja, die aus ärmsten Verhältnissen stammt und von dem reichen koreanischen „Geschäftsmann“ Hansu ein Kind erwartet, ist das neue Leben ein Kulturschock. Isak, ein engagierter Pastor, hat sie trotz der Schwangerschaft zur Frau genommen, und die beiden wohnen bei Isaks Bruder Yoseb und dessen Frau in ärmsten Verhältnissen: „Die Gegend taugt nur für Schweine und Koreaner,“ erklärt Yoseb den Neuankömmlingen. Noa, der Sohn, wird von Isak im christlichen Glauben erzogen, er ist ein fleißiges, ruhiges Kind. Als dann noch der gemeinsame Sohn Mozasu geboren wird, scheint das Glück der kleinen Familie trotz der trostlosen Umgebung vollkommen. Ein Leben am Rand der Gesellschaft Doch dann wird Isak von den japanischen Behörden, denen die Christen aus Korea ein Dorn im Auge sind, verhaftet. Sunja muss sich und ihre Kinder…

Die Cazalets: Zeitreise ins England der Dreißiger
Rezensionen / 18. November 2018

Die Autorin ist schon tot, 2014 starb Elizabeth Jane Howard im Alter von 90 Jahren. 14 Jahre vorher hatte ihre die Queen den Verdienstorden Commander of the British Empire verliehen. Ausgezeichnet wurde das ehemalige Model für die fünfbändige Familienchronik über die Cazalets, die im England der Dreißigerjahre spielt und ein Spiegel der damaligen Gesellschaft ist. Die Schatten des Zweiten Weltkriegs Im Mittelpunkt steht eine großbürgerliche Familie, die auf dem Familiensitz Home Place in Sussex zusammenkommt. Elisabeth Jane Howard erweckt mit ihrer detailreichen Familiensaga über die Cazalets nicht nur eine vergangene Welt zum Leben, sie zeigt auch die Schatten, die der Zweite Weltkrieg auf die friedliche Idylle in Sussex warf. Und sie ist in der Beschreibung der in der Familie schwelenden Konflikte durchaus aktuell. Im ersten Band kehren die Cazalet-Brüder Hugh, Edward und Rupert wie jeden Sommer zusammen mit ihren Familien in das Haus ihrer Kindheit zurück.  Die unbeschwerten Wochen werden überschattet von der Angst vor dem nächsten Weltkrieg. Und doch stellt sich die lange geübte Routine ein: „Kommt es dir nicht seltsam vor? Jeden Tag schlittern wir weiter in diesen grauenvollen Albtraum hinein, tun aber alle, als wäre nichts Besonders.“ Größere und kleinere Familienquerelen Die erwachsenen Cazalets  haben ihre eigenen…

Baldwins schwarze Familiengeschichte
Rezensionen / 2. Mai 2018

James Baldwins „Von dieser Welt“ ist eine Familiengeschichte, die für viele andere in den 1930er Jahren stehen könnte. Der schwarze Schriftsteller, der als einer der wichtigsten amerikanischen Autoren des 20. Jahrhundert gilt, erzählt in dem halb-autobiographischen Roman die Geschichte des jungen John Grimes, der in die Fußstapfen seines Stiefvaters Gabriel als Laienprediger treten soll. Erweckungserlebnis in der Hinterzimmerkirche  Baldwin bettet diese Geschichte in die Gebetsversammlung in einer Hinterzimmerkirche in Harlem ein, wo der 14-jährige John sein Erweckungserlebnis erfahren soll. Zwischen dem Beginn der Andacht und Johns Kniefall schildert Baldwin in drei Kapiteln das Leben von Johns Stiefvater, seiner Tante Florence und seiner Mutter. Keine Zeit für den pubertierenden Sohn  Der Stiefvater ist ein eifernder Laienprediger, der als Fabrikarbeiter kaum seine Familie ernähren kann und von Schuldgefühlen geplagt wird, weil er seinen außerehelichen Sohn im Stich gelassen hat. Vor seiner eigenen „Erweckung“ hat Gabriel selbst keine Sünde ausgelassen. Umso strenger maßregelt er seinen Stiefsohn, diesen unsicheren kleinen Kerl, der lieber liest als sich mit Gleichaltrigen prügelt. Die Mutter ist mit dem fünften Kind schwanger und hat weder Zeit noch Geduld für die Sorgen ihres pubertierenden Sohnes, die Frucht ihrer großen Liebe. Und die Tante hat sich zwar von ihrer Familie und…

Das Ende aller Sicherheit
Rezensionen / 22. April 2018

„Die Shaker waren fest überzeugt, wenn sie jede Kleinigkeit planten, könnten sie ein Stück Himmel auf Erden schaffen, einen kleinen Zufluchtsort, und die Gründer von Shaker Heights hatten genauso gedacht.“ Vergebliches Streben nach Harmonie  Doch der Himmel auf Erden bleibt wohl für ewig ein Sehnsuchtsort, auch wenn sich die Menschen noch so sehr abmühen in ihrem Bestreben nach Harmonie. Die Richardsons zum Beispiel, eine typische Familie in den Shaker Heights. Vater, Mutter und vier Kinder. Die Mutter Reporterin in einem Provinzblatt, der Vater Partner in einer Anwaltskanzlei, ein repräsentatives Haus, wohl erzogene Kinder mit besten Aussichten auf eine spätere Karriere. Eine unangepasste Frau bringt die schön geordnete Welt zum Einsturz  Und dann erscheint Mia auf dem Plan, eine Künstlerin, unangepasst, ungebunden, planlos, Mutter einer vaterlosen halbwüchsigen Tochter, Pearl. Ohne es zu wollen bringen die beiden die so schön geordnete Welt von Shakers Heights zum Einsturz. Die Veränderungen kündigen sich nicht an, sie beginnen schleichend mit den Fragen von Izzy, der jüngsten Tochter der Richardsons, nach dem Sinn des Lebens. Mit der Liebelei zwischen Pearl und dem Richardson-Sprössling Trip. Mit einem adoptierten Kind, das die richtige Mutter wieder zurück verlangt. Schließlich erregt ein Gemälde, auf dem Mia mit Pearl im Arm als…

Der Selbstverbrenner
Rezensionen / 27. September 2017

Das „Opfer“ ist (fast) vergessen wie der Mensch auch. Doch im Internet findet sich noch so einiges über Hartmut Gründler, der sich 1977 aus Protest gegen die Atompolitik der Bundesregierung selbst angezündet hat. Jetzt hat es der unerbittliche Selbstverbrenner sogar in ein Buch geschafft. Der preisgekrönte Autor Nicol Ljubic erzählt in „Ein Mensch brennt“ Gründlers Geschichte aus der Sicht des zehnjährigen Hanno Kelsterberg. Hartmut Gründler opfert die Menschlichkeit der Sache 1975 vermieten Hannos Eltern Gründler ein Zimmer. Es sind bewegte Zeiten: Die RAF beherrscht die Schlagzeilen, doch auch friedensbewegte Menschen gehen auf die Straße und protestieren gegen die Kernkraft. Einer von ihnen ist Hartmut Gründler. Doch er ist anders als die anderen Demonstranten, kämpferischer, unbequemer, ein Rebell und ein Fanatiker, der nur sich und seine Sache sieht und verlernt hat, was Menschlichkeit ist. So jedenfalls lässt Ljubic den kleinen Hanno den neuen Mieter erleben. Der Rebell instrumentalisiert die Familie Gründlers Engagement verändert die kleine Familie: Hannos Mutter kommt durch ihn mit dem Umweltschutz in Berührung und beginnt an der Sinnhaftigkeit ihres Hausfrauen-Daseins zu zweifeln. Das Kind Hanno wird hineingezogen in diesen revolutionären Strudel. Denn Gründler instrumentalisiert Mutter und Sohn für seine Rebellion. Das erkennt Hanno gut 30 Jahre später, als…

Lügen von Gestern und Heute
Rezensionen / 20. Juni 2016

„Hast du das Leben, fragte er sich, das du dir gewünscht hast? Aber auch vor einem Wunschleben machte die Gewohnheit nicht Halt.“ Selten wohl schafft es eine Lektüre, dass man den eigenen Standpunkt in Frage stellt. Doch bei Ursula Frickers Roman „Lügen von gestern und heute“ kommt man schnell ins Grübeln. Macht man es sich wirklich zu einfach, wenn man sich auf eine Meinung zum Thema Flüchtlinge festlegt? Folgt man nur dem Mainstream, wenn man für mehr Toleranz ist? Ist es eher Ausdruck von Denkfaulheit und Differenzierungsunwilligkeit, wenn man die Räumung von Flüchtlingsheimen ablehnt? Was ist wirkliche Überzeugung und wo lügt man sich in die eigene Tasche? Die Antworten sind nicht ganz einfach und nicht immer erfreulich. Was die Schweizerin Fricker in ihrem Roman zeigt, ist auch, dass es kein Schwarz-Weiß gibt. Dass unsere Welt eher grau ist – auch wenn wir es gerne anders hätten. Dass auch die andere Seite manchmal gute Argumente hat. Dass auch hinter einem Bürokraten ein mitfühlender Mensch stecken kann und hinter eine Tochter aus gutem Haus eine Terroristin. Fricker stellt drei Personen in den Mittelpunkt ihres Romans: Die Studentin Isa, die Prostituierte Beba und den Innensenator Otten. Isa, die sich zunehmend radikalisiert und Otten…