Hoffnung für Europas Wildnis
Reisebücher , Rezensionen / 11. November 2021

Was hat Wildnis mit Klimawandel zu tun? Der Klimagipfel in Glasgow beweist, wie wichtig globale Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung sind. Doch auch im kleineren Rahmen lässt sich einiges gegen die Klimaerwärmung erreichen. Der Bildband „Das wilde Herz Europas“ führt eindrucksvoll vor Augen, dass ein Umdenken Not tut. Was ist Wildnis? Man müsse den Bären als Hoffnungsträger für die wilde Natur akzeptieren, heißt es da etwa – ebenso wie Wolf und Luchs. Denn Wildnis dürfe nicht nur ein Sehnsuchtsort für Zivilisationsflüchtlinge sein, sie diene auch dem Schutz der Natur und unterstütze die Trendumkehr weg vom gedankenlosen Ausbeuten hin zu einem respektvollen Interagieren. Für die meisten Menschen sei Wildnis Natur pur, „verschont von den Eingriffen der Menschen und menschenleeres Terrain, in dem sich Fauna und Flora ungehindert ausbreiten können“. Dieses Ideal sei längst verloren und doch gäbe es auch in Europa noch Wildnis. Gefahren für die Wildnis Christine Sonvilla und Marc Graf machen sich in Mitteleuropa mit der Kamera auf die Suche nach der Wildnis. Dabei entdecken sie das Netzwerk von Mutterbäumen in Natur belassenen Wäldern, zollen dem Biber als Landschaftsarchitekt und „Ökosystem-Manager für artenreiche Biotope“ Anerkennung, konfrontieren die Betrachtenden mit der Schönheit mäandernder Flüsse und der Gefahr ihrer Zerstückelung und beleuchten…

Afrika, mon amour
Reisebücher , Rezensionen / 1. November 2021

Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe hat Afrika in den Focus der Aufmerksamkeit gerückt. Die schwarze Autorin und Filmemacherin wurde als „weithin hörbare Stimme Afrikas in den Gegenwartsliteratur“ ausgezeichnet. Wie sie versucht auch Jennifer McCann Afrika-Stereotypen aufzubrechen – als weiße Reisende. In ihrem schön aufgemachten Buch „Afrika ist kein Land“ erzählt die Biologie-Lehrerin von ihren Reisen – auch nach Simbabwe, wo sie die Ruinenstadt Groß-Simbabwe besucht hat, Reste einer Hochkultur, die bis heute verkannt ist. Hakuna matata – wirklich? McCann hat den schwarzen Kontinent auf unterschiedliche Art erlebt, als Helferin in einem Drogencamp, als Backpackerin im Dschungel, als Bergsteigerin auf dem Kilimandscharo. Sie ist als Beifahrerin auf dem Motorrad, in überfüllten Kleinbussen, im Zug und zu Fuß unterwegs und hat reichlich Gelegenheiten das afrikanische Mantra „Hakuna Matata“ (keine Sorge) auf seine Realitätstauglichkeit zu überprüfen. Zum Beispiel bei Scherereien an der Grenze zwischen Kenia und Uganda oder im Drogencamp, wo sie sich angesichts der Not der Menschen hilflos fühlt. Klischees und Realtität Immer wieder hinterfragt McCann sich selbst, den Sinn der Freiwilligendienste, ihr eigenes Handeln. Sie erlebt hautnah die Folgen des Kolonialismus aber auch die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen und bleibt doch als Mzungu (Weiße) eine…

Verlorene Hoffnung
Rezensionen , Romane / 1. November 2021

Bernhard Schlink  war Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie und juristischer Ratgeber in der Wendezeit. Doch bekannt wurde der 1944 geborene Jurist als Schriftsteller mit dem 1995 erschienenen Roman „Der Vorleser“. Der Film mit Ralph Fiennes und Kate Winslet brachte Bernhard Schlink weltweite Bekanntschaft ein. Als Auto bleibt die deutsche Geschichte sein großes Thema. Das gilt nicht nur für sein erst kürzlich veröffentlichtes Theaterstück „20. Juli“, sondern auch für den neuen Roman „Die Enkelin“. Die Vertraute wird zur Fremden Im Mittelpunkt steht der Berliner Buchhändler Kaspar, der vor kurzem seine Frau Birgit verloren hat. In seiner Trauer sucht Kaspar nach Gründen für ihren Freitod und die Alkoholsucht. Er findet autobiographische Skizzen, die ihm eine Birgit vorführen, die er nicht kannte. Eine Frau, die an ihrer großen Lebenslüge zerbricht. Birgit ist zwar Kaspars wegen in den Westen geflohen, aber sie hat ihr – unwillkommenes – Baby im Osten zurückgelassen. Obwohl sie es sich immer wieder vornahm, hat sie sich nie darum gekümmert, was aus dem Mädchen geworden ist. Heimat in der völkischen Gemeinschaft Das übernimmt nun Kaspar, er macht sich im deutschen Osten auf die Suche nach der verlorenen Tochter. Was er findet, sind entleerte Landschaften und neue Nazis. Auch Birgits…

Messners Lebenselixier
Reisebücher , Rezensionen / 22. Oktober 2021

Kurz nach der Tragödie am Nanga Parbat, wo  Messners Bruder Günther starb, ist das Büchlein „Zurück in die Berge“ erschienen. In der Corona-Zeit hat Reinhold Messner es aktualisiert, auch weil „der alpine Naturraum als hervorragende Möglichkeit gesehen wurde, ‚Abstand‘ zu halten“. Für den mittlerweile 77-Jährigen eine Gelegenheit mehr, sein Bergsteigerleben zu rechtfertigen und mehr Achtsamkeit in den Bergen zu fordern. Lebenskraft aus den Bergen Sein Lebenselixier Bergwandern, davon ist Reinhold Messner  überzeugt, „ist für die Gemeinschaft von sozialem Wert“. „Es gibt die Lebenskraft, die uns aufrechthält zwischen den Papierbergen der Asphaltstädte.“ Im Gebirge könnten gestresste Stadtmenschen wieder zu sich selber finden, eins werden mit der Natur – einfach beim Steigen. Dafür brauche es keine große Technik, keine Bohrhaken, keinen Eingriff in die Natur: „Mensch bin ich dort, wo die Landschaft ist wie sie immer war.“ Spuren der alpinen Geschichte Das Büchlein nimmt Bergfreunde mit auf so manche Tour und lässt sie teilhaben an den Gefühlen und Gedanken des Bergsteigers Reinhold Messner, der sich auch zum eigenen Scheitern bekennt. Auf seinem langen Lebensweg hat er sich auch der alpinen Geschichte angenommen und daraus gelernt. „Es fasziniert mich, auf den Spuren der alpinen Geschichte bergzusteigen, kann ich doch bei jeder Wiederholung das…

Traumwelt Berg
Rezensionen , Romane / 22. Oktober 2021

Kaum einer beschreibt das Leben in den Bergen so poetisch wie Paolo Cognetti („Acht Berge“). Der aus Mailand stammende Schriftsteller lebt seit 13 Jahren in einer einsamen Hütte im Aostatal. Für ihn eine Art Heimkehr, die er auch literarisch verarbeitet. „Die Berge, in denen ich immer die Sommer meiner Kindheit verbracht hatte, wurden für mich zu einem Ort, um mich wiederzufinden und nochmals neu anzufangen,“ erklärte er in einem Interview mit der FAZ. „Es ist, als verginge die Zeit dort oben viel langsamer. Das ist einerseits befreiend, weil alles andere im Leben sich so schnell wandelt. Andererseits ist es bedrückend, weil man fühlt, wie kurz man selbst nur auf Erden ist.“ Zuflucht an der kalten Quelle Im neuen Roman „Das Glück des Wolfes“ hat Fausto nach der Trennung von seiner langjährigen Partnerin Zuflucht in Fontana Fredda gefunden – „vom Salz der Freiheit kostend und an der Bitterkeit der Einsamkeit knabbernd“. Er ist gern in den Bergen unterwegs und findet in dem knorrigen Santorso einen Freund, dem er nach einem Unfall beisteht. Statt zu schreiben versucht er sich als Koch. „Jemand, der etwas zu essen macht, wird immer gebraucht, jemand, der schreibt, nicht unbedingt“. Seelenverwandtschaft In der kellnernden Bergfreundin Silvia glaubt…

Hass und Hetze statt Shelter
Rezensionen , Romane / 12. Oktober 2021

QAnon-Anhänger, Querdenker, Esoteriker – Corona scheint Verschwörungstheorien jeglicher Art zu beflügeln. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ursula Poznanski das Thema aufgreifen würde. Die österreichische Autorin ist mit ihren Büchern (fast) immer am Puls der Zeit. Auch mit  Shelter, ihrem neuen Roman, in dem eine Schnapsidee zu ungezügelter Hetze führt. Hashtag Shelter In Partylaune bringen ein paar Jugendliche über Social Media eine Fake-Realität unters Volk – von Aliens, die sich Menschen als Wirte aussuchen, um irgendwann unseren Planeten zu kapern. Hashtag Shelter läuft schnell aus dem Ruder und entwickelt sich aus der virtuellen zu einer realen Hexenjagd. Im Zentrum der Hasskampagne steht der Schauspiel-Eleve Benny, der sich immer mehr verfolgt fühlt. Octavios Spielchen Denn es gibt einen einen neuen Player, Octavio. Er hat in Windeseile die Story gekapert und nutzt sie für seine Zwecke. Benny will den Spuk so schnell wie möglich beenden, doch seine Aufklärungsversuche machen ihn nur zur Zielscheibe der „Octavianer“ und entfremden ihn von seinen Freunden. Die Sache eskaliert, es gibt die ersten Verletzten. Mit heißer Nadel So weit so nachvollziehbar und auch spannend. Doch die Auflösung bleibt diesmal eher unbefriedigend, obwohl es Poznanski gelingt, gegen Ende noch eine Breitseite gegen den Heiler-Wahn unterzubringen.  Da…

Liebe statt Mord
Rezensionen , Romane / 11. Oktober 2021

Nicola Förg hat sich als Krimi-Autorin einen gewissen Ruf erschrieben. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass die Autorin auch eine engagierte Tierfreundin ist. In ihrem neuen Roman, der überraschenderweise kein Krimi ist, kann man das nicht überlesen. Hintertristerweiher ist ein Familienroman geworden, der sich über 80 Jahre erstreckt und an den unterschiedlichsten Orten spielt und auch von einer großen, unerfüllten Liebe erzählt. Ein Tod und ein großes Erbe Am Anfang steht ein Tod: Die Französin Isabelle hat sich für den Freitod in der Schweiz entschieden und hinterlässt ihrer Nichte Aurelie ein großes Erbe. Doch es gibt eine Bedingung: Um das ganze Erbe zu bekommen – auch die Latifundien am Meer in Frankreich -, muss Aurelie ein Jahr lang den Tiergnadenhof und die dazu gehörige Seegaststätte am Hintertristerweiher weiterführen. Eine Zumutung, findet Aurelies Ehemann Eike, bis er erfährt, wie groß das Erbe wirklich ist und seine Frau dazu drängt, es doch anzunehmen. Das kann nicht gut gehen… Die Toten erzählen Geschichte Doch in dem Roman geht es nicht nur um die Lebenden, auch die Toten erzählen Geschichte, vom Weltkrieg, von Kriegsgefangenen, dem Holocaust – und einer Liebe in gefährlichen Zeiten. Förg wechselt die Zeitebenen wie die Plätze springt vor und zurück…

Verliebt sein – was ist das?
Kinderbücher , Rezensionen / 9. Oktober 2021

Fanny geht gern in die Schule, und sie spielt am liebsten mit Ester. Doch als Ester sich wünscht, dass Fanny in sie verliebt sein soll, trübt sich die Freundschaft ein. Fanny will nicht verliebt sein, sie will Spaß haben und lustige Sachen machen – am liebsten mit Ester. Nur ohne die ganze Küsserei Aber Ester ist ihr böse, und Fanny ist traurig. Freundschaftskummer ist fast so schlimm wie Liebeskummer. Wie gut, dass sie so eine einfühlsame Oma und eine verständnisvolle Mama hat. So lernt Fanny, dass man nicht verliebt sein muss, um andere gern zu haben: „Jemanden richtig gern haben ist ja fast wie verliebt sein“, sagt Mama. „Nur ohne die ganze Küsserei.“ Auch Mamas machen Arbeit Sara Ohlsson lässt Fanny von ihren Nöten mit dem Verliebtsein und ihrem Alltag erzählen. Das kann manchmal richtig lustig sein: „Kinder machen so viel Arbeit“, sagte Mama. Aber ehrlich gesagt, macht eine Mama auch ganz schön viel Arbeit. Man muss alle Stifte aufräumen, wenn man gerade herausgefunden hat, wie man Pferde malt, und man muss beim Tischdecken helfen und seine Jacke aufhängen und das Tablet weglegen und leise singen, wenn sie telefoniert. Mit einer Oma hat man viel weniger Arbeit.“ Witzige Illustrationen Man…

Mexikanische Schattenwelten
Rezensionen , Romane / 8. Oktober 2021

Ich bin mir nicht sicher, ob J.R. Bechtle mit „Der Schatten von Tulum“ einen Abenteuer- oder nicht doch eher einen Fantasy-Roman geschrieben hat. Alles beginnt eher realistisch mit dem deutschstämmigen Investment-Banker Jake Friedman, der im Zenit seiner Karriere steht. Gerade deshalb plagen den Spezialisten für das Mexiko-Geschäft Abstiegsängste. Beflügelt werden sie durch einen milliardenschweren Mexikaner, der Friedman auszutricksen droht. Eine rätselhafte Entführung Doch noch gehören er und seine Frau Sharon zur New Yorker Society. Bis Friedman in Mexiko nach einem heftigen Streit mit seinem Geschäftspartner Opfer einer Entführung wird. Kollegen und Familie vermuten dahinter handfeste geschäftliche Interessen. Auch Friedmann sieht sich lange als Opfer einer Intrige. Der Hippie Harry Simms Doch dann wallen Erinnerungen auf – an eine längst vergangene Episode in Tulum. Damals, als er das Leben noch vor sich hatte. Als er sich Harry Simms nannte, sich als Hippie fühlte und unsterblich in die junge Indigene Rosha verliebte. Als er sich im LSD-Rausch selbst verlor. Erinnerungen an den zerzausten Weisen, der immer wieder seinen Weg kreuzte, an ein Versagen, das er lange verdrängt hat. Zwischen Wahn und Wirklichkeit In der Realität wird dem Entführten klar, dass seine Vergangenheit dabei ist, ihn einzuholen und die Gegenwart dagegen keine Chance…

Dreistimmige Abrechnung
Rezensionen , Romane / 7. Oktober 2021

Wer kennt sie nicht, die stillen Helferinnen in den (fast) leeren Wohnungen? Ohne die Polinnen oder Rumäninnen, die monatelange ihre Familie gegen einen zu pflegenden Alten oder eine Alte eintauschen, wären viele Familien überfordert. Marco Balzano hat sich in seinem neuen Roman „Wenn ich wiederkomme“ dieser Frauen angenommen, die auch in Italien unabkömmlich sind. Es ist eine dreistimmige Abrechnung mit unserer Gesellschaft geworden, die ihr Wohlleben auf die Ausbeutung anderer gründet. Verwaiste Familie Die Rumänin Daniela hat einen Taugenichts als Mann und zwei heranwachsende Kinder. Um ihnen ein besseres Leben zu sichern, stiehlt sie sich heimlich aus dem Haus und geht sie als ungelernte Altenpflegerin nach Italien. Die verlassene Familie muss sich neu organisieren, und tut sich damit schwer. Sohn Manuel fühlt sich von der Mutter verraten, Tochter Angelica von der neuen Mutterrolle, in die sie zwangsweise schlüpft, überfordert. Der Vater flieht in einen Job als LKW-Fahrer. Schließlich übernehmen die Großeltern die Erziehung des Jungen. Das geht gut, bis der Großvater stirbt – und Manuel in einem existentiellen Nirvana zurück lässt. Marco Balzano lässt erst den Jungen aus seiner Perspektive erzählen und erteilt dann der Mutter das Wort, die ihr schlechtes Gewissen kaum beruhigen kann. Nachdem Manuel als Folge eines…