Rastplätze der Nostalgie
Rezensionen / 20. Oktober 2020

Nostalgiker und Romantiker kommen an der Augsburger Puppenkiste nicht vorbei – auch nicht an der Fuggerei, der ältesten Sozialsiedlung der Welt. Dietmar Bruckner hat in seinem Buch noch jede Menge anderer „nostalgischer Winkel“ in Bayern aufgetan – von der Kaiserburg in Nürnberg über die Hofapotheke zum Schwarzen Adler in Passau und die Schönheitsfarm Gertrud Gruber in Rottach-Egern bis zum Circus Krone in München und dem Haushalts- und Spielwarengeschäft Bahnschreiner in Eschenau. Nostalgie in der Allianz Arena? Dass auch die FC Bayern Erlebniswelt in der Allianz Arena unter diesen „Winkeln“ zu finden ist, ist allerdings erstaunlich. Schließlich wurde die Arena mit ihrer charakteristischen Fassade aus Folienkissen erst 2005 eröffnet. Doch im Text von Dietmar Bruckner geht es ja auch vor allem um die Erlebniswelt, wo der Autor Glücks- und Gänsehautmomente erlebte. Trotzdem: So richtig passt das Ganze nicht ins Thema „nostalgische Winkel“. Aus der Zeit gefallen Ganz anders das Museum Wolfram von Eschenbach, das sich dem Erfinder von Parzival widmet, und das ganze Örtchen Wolframs-Eschenbach in Mittelfranken. „Eine mittelalterliche Stadtmauer, kleine geduckte Häuser, urige Kneipen, Kopfsteinpflaster und Laternen, Nachtwächterführungen, ein Ritterspielplatz.“ Die Gemeinde habe sich einiges einfallen lassen, „um den Eindruck zu vermitteln, sie sei aus der Zeit gefallen“, schreibt Dietmar…

Ein Hund für Emil
Rezensionen / 13. Oktober 2020

Emil ist ein Schlaumeier, er hat‘s mit Primzahlen, mit denen er berühmte Persönlichkeiten bestimmen will. Solche Spielereien helfen ihm, wenn er sich einsam fühlt. Und Emil fühlt sich oft einsam. Sein Opa ist gestorben. Sein bester Freund. Und andere Freunde hat er jetzt auch nicht, weil die ganze Familie umgezogen ist – zu Oma, damit sie nicht so allein ist. Aber die alte Frau will keine Gesellschaft und hat sich ins Gartenhaus zurückgezogen. Ein Hund als Seelentröster So ist Emil trotz Schwester und durchgeknalltem Bruder ziemlich allein mit seinem Kummer. Ein Hund könnte ihn vielleicht trösten, ein möglichst großer, meint er und schreibt seinen einzigen Wunsch auf einen Wunschzettel. Zu Weihnachten bekommt er aber nur einen Plüschhund, weil sein Vater allergisch gegen Tierhaare ist. Voll peinlich. Und dann findet Emil einen Hund, ein „grunzendes, glupschäugiges, faltiges, schrumpeliges, dreckfarbenes, undefinierbares kleines Wesen“. Ausgerechnet Mops! „Ausgerechnet Mops“, denkt der Junge – und so heißt auch das Gute-Laune-Buch von Constanze Klaue. Denn natürlich finden Emil und Mops zusammen, auch wenn Emil ziemlich viele Vorbehalte überwinden muss. Aber über Mops kommt der einsame Junge ganz unvermutet zu neuen Freunden. Und ausgerechnet der dicke „Fleischer-Ole“ entpuppt sich als größte Hilfe dabei, den Mops der Familie…

Schönstes in der Schweiz
Rezensionen / 13. Oktober 2020

Quadratisch, praktisch, dick. Fast 500 Seiten mit geballten Tipps für die Schweiz sind in diesem reich bebilderten Band versammelt. Ausflugsziele für das ganze Jahr, auch für Familien. Dazu Ferienideen und vieles, was sonst noch  Touristen in der Schweiz interessiert. Kuriositäten und Berühmtheiten Kuriositäten etwa wie das kleinste Museum der Welt in Basel, wo jede und jeder ausstellen kann, was ihr oder ihm wichtig ist – Hauptsache klein. Der Pfynwald mit der Bhutanbrücke im Wallis. Der Friedhof in Jaun im Kanton Fribourg mit den individuell geschnitzten Holzkreuzen. Das Cabaret Voltaire in Zürich, Geburtsort des Dadaismus. Natürlich finden sich auch weltberühmte Attraktionen in dem Wälzer wie das Jungfraujoch, die Hohle Gasse (aus Wilhelm Tell) bei Küsnacht, das Einstein-Museum in Bern, die Fontäne „Jet d‘Eau“ im Genfer See oder das Dorf Vogorno im Tessiner Versascatal. Weinlehrpfad und Hausmannskost Es gibt Ausflugstipps wie den Weinlehrpfad im Wallis, die Grotten von Vallorbe im Jura, den Pilatus bei Luzern oder die Vorderrhein-Schlucht in Graubünden, den Grand Canyon der Schweiz. Auch das leibliche Wohl kommt nicht zu kurz. Da finden sich Lokale mit regionaler Küche wie die Osteria La Froda im Tessin, die sich dem Slow-Food-Trend verschrieben hat, das auf Wildgerichte spezialisierte Relais des Chasseurs im Wallis…

Was bleibt
Rezensionen / 7. Oktober 2020

Fabio Geda hat mit seinem Buch „Im Meer schwimmen Krokodile“ einen Überraschungserfolg erlebt.  Jetzt legt der italienische Autor nach  –  mit einem Roman über Einsamkeit.  Der alte Mann  hat sich soviel Mühe gegeben mit dieser Essenseinladung an seine Tochter und die Enkelinnen. Und dann bricht sich eine der beiden den Arm – und er steht allein da mit dem gedeckten Tisch und den fertigen Speisen.  Seine Frau ist tot, die Kinder leben längst ihr eigenes Leben. Einsamer Ruhestand Jetzt ist er, der als Architekt in der Welt herumreiste, um Brücken zu bauen und in Venezuela eine heimliche Geliebte hatte, im Ruhestand – und einsam. Da lernt er im Park in der Nähe einer Skateboardanlage eine junge Frau mit ihrem Sohn kennen: Elena und Gaston folgen nach einigem Zögern seiner Einladung. So wird es doch noch ein fast familiärer Nachmittag. Keine Liebesgeschichte Aus dem Sonntag mit Elena, so auch der Titel des Romans, entwickelt sich keine Liebesgeschichte, auch wenn sich der alte Mann und der junge Gaston beim Basteln näher kommen. Aber der einsame Vater, der zu seiner Familie ein eher distanziertes Verhältnis hatte, erkennt neue Perspektiven für den Rest seines Lebens. Auch einen Weg aus der Alters-Einsamkeit. Familiäre Hintergründe Erzählt…

Lebendig werden im Kloster
Rezensionen / 7. Oktober 2020

Das Kloster  als Gegenentwurf zum Lärm der Moderne.  So sieht es Paolo Rumiz, der Wanderer und der Suchende. Auf dem Po ist er durchs unbekannte Italien gereist, auf der Via Appia hat er nach römischen Spuren gesucht und im Leuchtturm sich selbst gefunden. Nun hat sich der überzeugte aber auch verzweifelte Europäer in den Klöstern des Benediktinerordens mit den Wurzeln des europäischen Gedankens auseinandergesetzt und hat in ihnen viel Tröstliches gefunden: grandiose Einsamkeit, unberührte Natur, herzliche Menschen. Der Rockende Abt von St. Ottilien Manche der Mönche haben den Schriftsteller tief beeindruckt. Männer wie der ehemalige Abtprimas Notker Wolf, der nicht nur elf Sprachen spricht und Missionar in Afrika war, sondern auch „Smoke on the water“ von Deep Purple auf der E-Gitarre spielen kann und von großen Wirtschaftsunternehmen als Berater geschätzt wird. Überhaupt bewundert Rumiz die blühende Wirtschaft im bayerischen Kloster mit Biogasanlage, Brauerei, Verlag und „Hi-Tech-Stall“. „Mit Claudio spaziere ich verwirrt und argwöhnisch über die gepflegten Kiesalleen dieses Bauernhofs Gottes“, notiert er. Klöster quer durch Europa Eine „waffenlose Welt im Niemandsland“ hat er in den europäischen Klöstern gefunden. Und eine enge Verbindung – auch mit den Frauenklöstern. Den Faden zu seinem Buch hat er an einem Kriegerdenkmal in Triest aufgenommen,…

Das Ende der Sprachlosigkeit
Rezensionen / 2. Oktober 2020

Celeste Ng  war mit „Kleine Feuer überall“ eine literarische Sensation gelungen.  Der Roman wurde zum Bestseller und als TV Serie verfilmt.  „Was ich euch nicht erzählte“  ist ihr erster Roman, auch er hat das Zeug zum Bestseller:  Es scheint das Glück auf Lebenszeit: Als die ehrgeizige Studentin Marilyn den chinesisch-stämmigen Professor Lee heiratet, sieht sie sich noch vor einer großen Zukunft als Ärztin. Doch dann bekommt James Lee nicht die erhoffte Stelle in Harvard, sondern muss ich mit einer Professur in der Provinz zufrieden geben, es kommen Kinder, und Marilyn verzichtet darauf, weiter zu studieren. Ausgrenzung und Ehrgeiz James, Sohn nach den USA eingewanderter Chinesen, hat von Kind an gespürt, dass er anders ist, hat Ausgrenzung erfahren. Dass Marilyn ausgerechnet ihn liebt, erscheint ihm wie ein Wunder. Und wie viele Menschen mit Migrationshintergrund will sich James in seiner neuen Heimat integrieren. Er ist amerikanischer als die Ur-Amerikaner. Marilyn dagegen, die mit ihrer Ehe den Kontakt zu ihrer Mutter verloren hat, leidet darunter, ihre eigenen Ziele nicht erreicht zu haben. Bild einer perfekten Familie Sie fürchtet, als unbedeutende Hausfrau zu enden und überträgt ihren ganzen Ehrgeiz auf die Tochter Lydia, schön, klug und scheinbar ähnlich ehrgeizig wie die Mutter. Die anderen…

Jenseits der Capri-Sonne
Rezensionen / 28. September 2020

Ein Capri-Krimi? Capri das ist Sinnbild für Lebensfreude, Schönheit, Urlaub. Aber doch nicht für Mord und Totschlag. Der Autor Luca Ventura allerdings will die italienische Insel im Golf von Neapel zum Schauplatz seiner Krimis um den noch unerfahrenen  Inselpolizisten Enrico Rizzi machen. Straßenmusiker und Sohn reicher Eltern Im ersten Capri-Krimi muss Rizzi den Mord an einem jungen Mann aufklären, der als Straßenmusiker aufgefallen war und sich als Sohn reicher Eltern entpuppt. Wer hat Jack Milani ermordet? Seine Freundin Sofia, die spurlos verschwunden ist? Der Professor im Institut für Ozeanologie, dem er mit privaten Enthüllungen gedroht hat? Komplizierte Aufklärung Der Inselpolizist, der nebenbei noch seinem Vater in den Obstgärten helfen muss, ist genervt. Ausgerechnet mitten im August hält ihn dieser Mord auf Trab. Und obwohl er irgendwann die beiden Verdächtigen in Gewahrsam hat, scheint er von der Aufklärung des Mordes noch weit entfernt… Ventura lässt einen sympathischen Polizisten auf Capri ermitteln, und die leidlich spannende Geschichte klärt ganz nebenbei auch darüber auf, wie es mit den Weltmeeren bestellt ist. Hineingelesen… … in die Meeres-Problematik Als sie klein gewesen war, dachte sie immer, der Golf von Neapel sei das größte Meer der Welt, und wer darin bade, bekäme eine schöne, samtige Haut….

Wer ermordete Olof Palme?
Rezensionen / 28. September 2020

Olof Palme galt als einer der populärsten Ministerpräsidenten Schwedens, und sein Tod alarmierte die Welt. Bis heute ist der Mord an Olof Palme nicht aufgeklärt. War es ein Einzeltäter, der den Ministerpräsidenten erschoss oder stand ein Komplott hinter dem Mord? Roman Voosen und Kerstin Signe Danielsson haben rund um die Tat einen spannenden Krimi gesponnen, der den „größten Kriminalfall in der schwedischen Geschichte“ von verschiedenen Seiten beleuchtet. Stieg Larsson lässt grüßen Dabei greifen die Autoren auch auf Recherchen von Stieg Larsson zurück, der mit der „Millennium Trilogie“ einen Welt-Bestseller schrieb, aber auch Herausgeber eines antifaschistischen Magazins war. So erfahren die Leser ganz nebenbei auch viel über rechte Verschwörungen, über Geheimbünde beim Militär und Anti-Palme-Aktionen. Olof Palme, auch das lässt dieser Roman ahnen, war keineswegs ein Heiliger, auch er nutzte die Politik für seinen eigenen Vorteil und den seiner Familie. Das Erbe des Vaters Der Krimi spielt auf verschiedenen Zeitebenen. Im Mittelpunkt steht die Tochter eines hoch dekorierten Militärs, der womöglich am Palme-Mord beteiligt war. Weil Stina Forss wissen will, was vor 33 Jahren wirklich geschehen ist, wird sie selbst das Opfer mehrerer Anschläge, die sie einäugig überlebt. Bei ihren Recherchen wird die Polizistin von Kollegen unterstützt, vor allem von ihrer…

China und das Glück
Rezensionen / 28. September 2020

China, das Riesenland, die aufstrebende Großmacht, das Reich der Milliardäre. China, das nach unseren Industrie-Champions greift, das uns mit Plastikspielzeug zumüllt und sich Taiwan einverleiben will. Wir wissen viel über die Volksrepublik und kennen sie doch nicht. „China, wer bist du?“ fragt Simone Harre in ihrem Buch, das aus vielen Gesprächen mit Chinesen entstanden ist, mit Milliardären und Bauern, mit Designern und Verkäufern, Künstlern und Taxifahrern, mit Frauen und Männern, Jungen und Alten, mit Christen, Buddhisten, Muslimen, mit Vertretern von Homosexuellen und ethnischen Minderheiten. Was fehlt zum Glück? Sie wollte hinter die Kulissen blicken, die Seele des Landes er-spüren, und fragte die Menschen danach, was sie glücklich macht. Die Antworten, die sie bekam, waren höchst unterschiedlich. Sie zeigen, dass die Chinesen weit von einer einheitlichen Denkungsart entfernt sind, wie wir es immer wieder argwöhnen. Und sie zeigen, dass Reichtum nicht glücklich macht, auch wenn so einige auf „Vom-Tellerwäscher-zum-Milliardär-Karrieren“ zurückblicken können. Trotz ihrer Erfolge konnten sie nicht aufhören, nach immer mehr zu streben – so wie dieser Millionär: „Hungern muss keiner mehr in seiner Familie. Doch glücklich? Ist er glücklich. Wei Jinji schaut mich fragend an. Ja. Nein. Er wiegt den Kopf. Und er weiß. Irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas fehlt…“ „Zu…

Das Reisen als Lebensweg
Rezensionen / 22. September 2020

Michael Roes weiß: Reisen und Tourismus sind zweierlei Stiefel. Reisen fordert den ganzen Menschen, ist verbunden mit Strapazen – auch heute noch – und kann mit großen Enttäuschungen verbunden sein. Der Tourismus dagegen verspricht die heile Welt, die Sicherheit mit Netz und doppeltem Boden und natürlich Glücksgefühle. Der Autor und Filmemacher Michael Roes definiert sich als Reisender. Riskante Nähe Es sind auch nicht die Ziele des Massentourismus, in die er die Leser mitnimmt – auch in Marokko oder Tunesien lässt er sich auf eine Nähe ein, die so riskant ist wie seine Reisen durch Afghanistan, im Jemen oder in Mali. In seinem dicken Buch „Melancholie des Reisens“ überlagert seine Gedankenwelt immer öfter auch die Realität vor Ort. Denn für Michael Roes ist Reisen immer auch verbunden mit der Suche nach Wahrheit und den eigenen Grenzen. Der Reisende als Virus Er reist Menschen nach, die ihn inspiriert haben: die Dichtern Rimbaud und Bowles etwa oder gescheiterten Entdeckern. Zitate aus deren (Tage)Büchern stehen zwischen den eigenen Betrachtungen, die jetzt in Corona-Zeiten fast prophetisch klingen: „Die Fremde liebt den Reisenden nicht. Sie wehrt sich gegen ihn, bekämpft ihn, isoliert ihn, stellt ihn unter Quarantäne, eliminiert ihn. Die Rituale der Gastfreundschaft sind Strategien der…