Gefährliche Gartenpflege
Rezensionen / 19. März 2020

Elsemarie Maletzke hat eine Vorliebe für Gärten und für England. Beide hat sie in ihrem neuen Kriminalroman Magnolienmord zusammengebracht. Auf höchst vergnügliche Art. Dies ist kein Krimi, der mit viel Blut und brachialer Gewalt aufwartet, auch nicht mit allwissenden Kommissaren. Hier geht es um eine bibliophile Hobbygärtnerin und einen polnischen Dendrologen (Baumforscher) mit kriminellen Neigungen. Angespanntes Verhältnis zwischen Vermieterin und Mieter Dass die beiden zusammenkommen, ist am Anfang nicht abzusehen. Da stehen Vermieterin und Teilzeitmieter einander mit gegenseitiger Abneigung gegenüber: „Elinor sah einen großen Mann jenseits der fünfzig mit grauen Augen, graugesticheltem Haar und schmalen Wangen. Gärtnerbräune, dachte sie ,die am Kragen und über den Ellenbogen aufhört.“ „Er sah eine alte Jungfer, noch schlank, noch ganz appetitlich, mit hohen Wangenknochen, die sie auch im nächsten Jahrzehnt noch gut aussehen lassen würden.“ Ein „barsches Weib“ ist die Vermieterin für den Mieter Simon Jankowski, der sich für andere Hausbewohner mit einer Aktion im angrenzenden Jüdischen Friedhof verdächtig macht. Ein Baumsturz mit Folgen Doch dann wird Elinor von ihrer jüngeren Schwester und deren Kurzfrist-Lebensgefährten heimgesucht und die Wohnung wird zum Schlachtfeld. Dagegen wird ihr der polnische Mieter mit seinen guten Manieren schon fast zur Zuflucht. Eine zarte Liebe blüht auf.  Doch  der hilfsbereite…

Der Charme der Unauffälligkeit
Rezensionen / 18. März 2020

Anne Tyler kann meisterhaft von den kleinen Dingen des Alltags erzählen.  Das tut sie auch in ihrem neuen Roman „Der Sinn des Ganzen“: Micah ist kein Traummann, eher einer, den man gern übersieht. Einer, der sich klein macht, der nicht auffallen will. Fast symbolisch lebt er im Souterrain in einer bescheidenen Absteige, die er allerdings pedantisch sauber hält. Seine Tage sind durchstrukturiert. Erstaunlich, dass er trotzdem noch Zeit hat für seine Freundin, Cass, eine Lehrerin. Die beiden passen eigentlich gut zusammen, denn Cass kommt auch bei Micahs Familie gut an. Micahs  Welt gerät in Unordnung Aber dann macht Micah das ganze schöne Arrangement zunichte. Einfach so, weil er nicht richtig zuhört, weil er gedankenlos ist. Cass hat ihm davon berichtet, dass sie womöglich ihre Wohnung verlieren könnte. Und er? Hat keinen Ratschlag, nur leere Worte. Und dann taucht Brink auf, der Sohn von Micahs Jugendliebe, und bringt Micahs geordnete Welt durcheinander und Cass auf die Palme. Die Freundin verlässt ihn, die Familie wundert sich, und Micah wird eine unangenehme Wahrheit bewusst: „Er hatte niemanden.“ Leere Tage und keine Aussicht auf Besserung Brink ist nicht sein Sohn und die Jugendliebe verheiratet. Die Schwestern leben ihr eigenes Leben, und Micahs Tage sind…

Mutmenschen in den Bergen
Rezensionen / 17. März 2020

„Das ist doch der Gipfel“ hat Andreas Lesti seine „Geschichten von den Bergen der Welt“ überschreiben.  Von Mutmenschen und Pionieren handelt diese Essay-Sammlung und auch davon, „wie aus dem ehemaligen Schreckensort Alpen ein Sehnsuchtsort wurde“.  Der Alpinist und Autor Andreas Lesti hat manche der geschilderten Routen selbst  begangen und mit einigen der Porträtierten gesprochen. Aus seiner Faszination für die Welt der Berge und die „Helden der Vergangenheit“ macht er kein Hehl. An 15 Porträts und Geschichten hangele sich das Buch durch Zeit und Raum, schreibt er im Vorwort. Es lohnt sich, jede einzelne zu lesen – und dazu auch Rekordsammlung hinter den einzelnen Kapiteln. Denn Andreas  Lesti ist ein ebenso versierter Kenner der Alpingeschichte wie ein guter Erzähler. Der Dichterfürst auf der Furka Da erfährt man etwa, dass Belsazar Hacquet 1785 von einem Bergsteiger erwartete, er müsse „in allen Fällen beherzt seyn und keine Furcht vor hohen, noch gähen Abstürzen haben“. Oder dass Deutschlands Dichterfürst 1779 auf der Furka Kälte und Eis erlebte und später die Bergkletterei als etwas Barbarische verurteilte. Man liest mit Interesse, dass Alexander von Humboldt, der eher als Universalgelehrter denn als Alpinist bekannt ist, 1802 am Chimborazo einen Höhenrekord aufgestellt hat. Und man wundert sich über…

Waldeslust und Waldesfrust
Rezensionen / 11. März 2020

Flüsternde Wälder heißt der neue Alpenkrimi von Nicola Förg, der viel über Waldeslust und Waldesfrust erzählt. Die Bauern kämpfen ums Überleben – wie der Wald in Bayern: „Wir verdienen kein Geld mehr mit unserer Milch. Also vermieten wir Ferienwohnungen, aber dann beschweren sich die Gäste, dass die Möbel nicht den alpinen Loungecharakter haben, so, wie sie das letztes Jahr in Südtirol haben… Wir ertrinken in Käferbäumen, kommen kaum nach mit dem Umschneiden. Dann noch der ganze Windbruch. Wir haben echt andere Probleme als waldbaden zu gehen.“ Die Aktualität lässt grüßen In Nicola Förgs Alpenkrimis lässt die Aktualität grüßen. Nur das Corona Virus konnte die journalistisch ausgebildete Krimi-Autorin noch nicht verarbeiten. Aber auch ohne das Virus, das derzeit die Welt in Atem hält, ist ihr neuestes Buch wieder hoch aktuell und spannend. Zwei esoterisch vorbelastete Menschen kommen kurz nacheinander ums Leben. Eine Waldbade-Trainerin wird von einem Bulldog überrollt, ein „Heiler“ wohl bei einem Einbruch erschlagen. Alles sieht ganz einfach aus und ist doch viel komplizierter. Zwei merkwürdige Todesfälle Die Kommissarinnen Irmi Mangold und Kathi Reindl stoßen bei ihren Ermittlungen auf E-Biker und Detox-Jünger, auf Senioren, die kaum von ihrer Rente leben können, und Freizeitsportler, für die Natur nichts weiteres als eine…

Im Freien: Zwischen Alltag und Ausstieg
Rezensionen / 11. März 2020

Im Freien fühlt sich Björn Kern am wohlsten. Nahweh nennt der Autor den Drang nach Draußen, das Bedürfnis, in die Natur einzutauchen, die Nacht im Wald zu verbringen. Um diesen Drang zu befriedigen bedarf es keines Flugzeugs und keiner Bahn. „Man muss nur vom Schreibtisch aufstehen, die Haustür aufstoßen und nach draußen gehen.“ Wobei Kern Glück hat mit seiner Exit-Strategie: Björn Kern lebt in einer „brüsken Landschaft“, im Oderbruch in einem „im Verfall begriffenen kleinen Hof“. Hier kann er dem Nahweh nachgeben und immer wieder im Lauf der Jahreszeiten eine Wunderwelt entdecken. Eine Ode an die Nähe „Deutschland als Nation taugt nicht als Sehnsuchtsort“, schreibt er, „wohl aber seine Ränder, seine Brachen, seine Auen, Lüche und Brüche.“ Womöglich ist seine Ode an die Nähe heute in Zeiten des Corona Virus das Buch der Stunde. Denn wenn Europa zum Sperrgebiet mutiert, die Kreuzfahrtschiffe und Hotels zu Quarantänestationen, dann bekommt die nächste Umgebung wieder eine ganz neue Qualität. Wie wäre es, fragt sich Björn Kern in einer schlaflosen Nacht, „wenn alle ihre Häuser verließen und ins Mondlicht drängten, die Sommernacht feierten, und am nächsten Morgen kein Flugzeug mehr ginge, kein Bus und keine Maschine und wie glücklich der volkswirtschaftliche Ausfall alle machen…

Hohe Häuser in den Bergen
Rezensionen / 23. Februar 2020

Hohe Häuser,  das sind in diesem Buch Gebäude auf der Höhe.  Und besondere Landschaften stellen Baumeister und Architekten immer wieder vor besondere Herausforderungen. Das gilt vor allem für die Berge. Ihr Formenreichtum, so Nicola Borgmann im Vorwort zu diesem beeindruckenden Bildband, beflügele die Fantasie. Doch die Berge stellten auch die Architekten vor eine schier unlösbare Aufgabe: Jedes Bauwerk mit phänomenalem Ausblick wird auch von weitem gesehen, es prägt die Landschaft und nimmt sich ein Stück Natur. Deshalb gelte es, nur gute Architektur in diese sensible Natur zu stellen. Besondere Architektur an außergewöhnlichen Orten Das Buch will deshalb besondere Architektur an außergewöhnlichen Orten zeigen – moderne ebenso wie traditionelle. Der Gegensatz zwischen oft minimalistischer zeitgenössischer Architektur und traditioneller Alpenbauweise macht den Reiz dieses Bildbandes aus. Das „Anschauungsmaterial“ für Hohe Häuser  – Hütten, Hotels, Kapellen und sogar Biwak-Schachteln – ist beeindruckend. Fast sakral wirkt das Innere der supermodernen Berghütte Oberholz im Südtiroler Latemargebirge. In den verglasten Giebeln spiegeln sich die Dolomitengipfel. Mal minimalistisch, mal mit Grandezza Zu den ältesten Berggasthäusern gehört das Aescher, eine der spektakulärsten Jausenstationen der Schweiz, die mittlerweile von Touristen überrannt wird. Auch spektakulär aber ganz zeitgemäß ist die Biwakhütte Gervasutti im Mont-Blanc-Massiv, die röhrenförmig über den Abgrund ragt….

T.C. Boyle: Abgründe und Visionen
Rezensionen / 15. Februar 2020

Die Zukunft hat schon begonnen – irgendwann, irgendwie – in diesen Kurzgeschichten von T.C. Boyle. Der Meister der Short Story braucht nur wenige Sätze, um eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen, zu zeigen, wie ohnmächtig wir Menschen der Natur gegenüber sind. „Sind wir nicht Menschen“ ist der Titel dieses Sammelbandes, dem der Amerikaner ein Zitat von Lord Byron voranstellt: „Den Menschen lieb‘ ich, mehr noch die Natur“. Ameisenplage und Wassermangel Und diese Natur ist nicht immer menschenfreundlich, schon gar nicht zu Zeiten des Klimawandels. Eine Ameisenplage verdirbt einer jungen Familie die Freude am neuen Haus: „Sie waren überall, diese Ameisen, sie brachen sich in winzigen Wellen an unseren Sandalen, krochen in die Zehenzwischenräume und krabbelten, sobald wir unseren Sohn berührten, in rasender Geschwindigkeit an unseren Händen und Armen hinauf.“ Jahrelange Dürre lässt auch die Liebe eines Paares verdorren: „Wir stritten endlos über die banalsten Kleinigkeiten – wer das letzte saubere Handtuch genommen hatte oder wer das Spülwasser nutzlos in den Abfluss hatte laufen lassen.“ Wiedererleben statt leben T. C. Boyle ist ein genauer Beobachter, ein hellsichtiger Zeitgenosse und ein grandioser Erzähler. Die über Jahrhunderte unterjochte Natur schlägt zurück – in Gestalt eines Tigers, der im Zoo aus seinem Käfig ausbricht. Und…

Vom indischen Elefanten
Rezensionen / 14. Februar 2020

Der Subkontinent ist nach China das bevölkerungsreichste Land der Erde und wohl auch das rätselhafteste. Wie viele Reisende ist auch der Schwede Per J.  Andersson der Faszination Indiens erlegen: „Ich bin wie besessen davon, den westlichen Lesern Indiens ungeheure Vielfalt von widersprüchlichen Eindrücken zu beschreiben“, notiert er im Vorwort zu seinem Buch „Vom Elefanten, der das Tanzen lernte“. Wie auf einem anderen Planeten Als er das erste Mal in Indien war, fühlte sich der junge Mann wie auf einem anderen Planeten. Danach ist er immer wieder nach Indien zurückgekehrt, obwohl er stets „mit dem Gefühl nach Hause gereist ist, dass ich von dem Land die Schnauze voll habe“. Die Sehnsucht nach dem „anderen Planeten“ ließ ihn nicht los. Und so hat Per J.  Andersson Indien erkundet, hat mit reichen und armen Indern gesprochen, war in Bombay und in Bollywood, in Indiens Süden und im Norden des Subkontinents. Ein Land der Widersprüche In seinem Buch beschreibt er nicht nur die unendlichen Widersprüche dieses vielsprachigen Landes mit seinem verwirrenden Götterhimmel, den Kasten und den seltsamen Ritualen. Er schreibt auch über die lange Geschichte Indiens, seine Hochkultur, die englische Kolonisation, den legendären Freiheitskampf unter Mahatma Gandhi und die schmerzhafte Trennung von Pakistan, die…

Mit lonely planet den Horizont erweitern?
Rezensionen / 8. Februar 2020

Noch immer gilt lonely planet als die Bibel für abenteuerlustige Individualisten. Der neue Band „Der Sinn des Reisens“ empfiehlt sich als „deine Bucket List für gutes Reisen“ und enthält tatsächlich einige Tipps für nachhaltige Erlebnisse wie „Im Naturschutz aktiv sein“, „Ohne Plastik reisen“ oder „Ein Land zu Fuß durchqueren“. Auch lonely planet preist die Wirksamkeit von Waldbaden   oder feiert  Wasser als „pure Lebensfreude“.  Denn schon die Nähe zu Wasser kann sogar „Zerbrochenes heilen“, wie der Meeresbiologe Wallace Nichols in seinem Buch „Blue Mind“ verkündet. Dorfleben und Sternenhimmel Empfohlen werden auch Reisen, bei denen man an einem Ort verweilt und womöglich ins Dorfleben eintauchen kann oder Übernachtungen unterm Sternenhimmel etwa beim Wüstencamping in Namibia. „Das Universum füttert unsere Seele – ganz umsonst“ heißt es dazu – wenn man denn die Reise nach Namibia oder in den Himalaya nicht dazu rechnet. Auch sonst wundert sich der geneigte Leser manchmal, zum Beispiel, wenn „Reisen im eigenen Land“ als Beitrag zum Umweltschutz gelobt werden und man dazu Tipps für Trips in den USA, Australien und Schottland findet. Aber das liegt halt daran, dass dieser Sammelband von lonely planet auf der englischen Ausgabe „Travel Goals 2019“ fußt. Kraftplätze und Pilgerziele Natürlich finden aufmerksame Leser trotzdem…

Schmerzhafte Grenzüberschreitung
Rezensionen / 3. Februar 2020

Der Defekt ist am Anfang nur für sie spürbar.  Aber Vetko  scheint  mehr zu wissen als andere. Sie müsse sich fügen, sagt der seltsame Junge  zu Mina. 16 Jahre ist sie alt, als sie dem 18-jährigen Einzelgänger näher kommt. Da erschießt Vetko seinen Hund vor ihren Augen. Mina ist schockiert – und fasziniert. Und ganz allmählich erkennt sie, dass sie anders ist als ihre Mitschüler, anders als ihre beste Freundin und ihre Eltern. Leona Stahlmann beschreibt in ihrem Roman  Der Defekt  die Suche Minas nach ihrer Identität, nach dem, was sie befriedigt. Erinnerung in Narben und blauen Flecken Es ist etwas anderes als normaler Geschlechtsverkehr, das weiß sie. Und es ist etwas, das sie immer wieder erleben will. Ein Einverständnis, das zwei Menschen zu einer Einheit schmiedet. Und Vetko gibt den Takt vor: „Mit jeder Narbe, jedem blauen Fleck kannst du die Zeit dehnen,“ sagte er zum Abschied. „Wie lang dauert durchschnittlicher Sex, fünfzehn Minuten? Wir hören nie auf damit, solang unsere Körper sich erinnern, eine Narbe von mir auf dir, und du wirst noch in zehn Jahren mit mir schlafen, wenn du sie ansiehst.“ Süchtig nach Gehorsam Mina weiß, dass sie und Vetko Grenzen überschreiten – und sie ist…