Über Grenzen: Von der Freiheit aufzubrechen
Rezensionen / 23. September 2019

Eine Frau, ein kleines Motorrad und eine Reise:  Über Grenzen heißt das Buch, das Margot Flügel-Anhalt über ihr großes Abenteuer geschrieben hat.  „Die sprachlose Aufmerksamkeit der Männer überrascht und amüsiert mich immer wieder. Ich bin eine ältere Frau. Ja. Ich fahre Motorrad. Ja. Na und?“  Die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen musste erst 64 Jahre alt werden, ehe sie sich zum ersten Mal auf ein Motorrad zu steigen traute. Und dann fuhr sie gleich los – aus einem Kaff in Nordhessen in die Länder Zentralasiens, die der Großteil der Deutschen höchstens aus den Nachrichten kennt: Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan… Die alte Frau und das Motorrad Eine Frau auf einer kleinen Enduro, auch Reisemoped genannt, ist in solchen Ländern schon eine Sensation und dann noch eine ältere Frau. Doch Flügel-Anhalt lässt sich nicht beirren, auch nicht von einigen Stürzen, die ganz und gar nicht harmlos sind. Und schon gar nicht von unfreundlichen Zöllnern an der Grenze oder Männern, die sich weigern, einer Frau die Hand zu geben. Die Frau ist tough, sie braucht keine männliche Stütze – auch wenn sie manchmal ganz froh ist über hilfsbereite Begleiter. Auf einem Teil der Reise fahren zwei Filmer mit. Die Herausforderung des Wegs Doch…

Mit Max Frisch auf der Baustelle
Rezensionen / 12. September 2019

Rainer Moritz weiß,  dass Schriftsteller aus ihrer Umgebung – dem Umfeld, den Mitmenschen – schöpfen , auch wenn es lange verpönt war, darüber zu reden. Nun hat der versierte Literaturkritiker und -Liebhaber  einen ebenso schönen wie lesenswerten Bildband zur Verortung von Literatur veröffentlicht. „Zum See ging man zu Fuß – Wo die Dichter wohnen“ lädt dazu ein, bekannte Schriftsteller wie Kafka und Hauptmann, Thomas Mann und Anna Seghers, Hesse und Schnitzler in ihrem Lebensumfeld kennen zu lernen und zugleich die Orte neu zu entdecken. Das Ortsbild von Travemünde Moritz ist ein wacher Beobachter, der in der Geschichte Bescheid weiß, aber auch die Realität der Gegenwart im Auge behält. So weist er bei Thomas Mann nicht nur darauf hin, dass das Buddenbrookhaus erweitert wird und mit zeitgeistigen Inszenierungen aufwarten soll, er spart auch nicht mit Kritik an den Errungenschaften der Moderne wie in Travemünde: „Kaum woanders ist es geglückt, mit einem einzigen Neubau ein Ortsbild so nachhaltig zu beschädigen.“ SUVs und Selfiestangen Der Autor registriert die SUVs vor dem Wohnhaus Schnitzlers in der Wiener Sternwartstraße und die Warteschlangen vor dem Kaffeehaus Central, die Besuchermassen in Prag und die „hochgereckten Selfie Stangen im Goldenen Gässchen“, auch die Touristen beim Tätscheln der Pessoa-Statue…

Wundersamer Atlas des Unerwarteten
Rezensionen / 10. September 2019

In der Einführung zu seinem Atlas des Unerwarteten würdigt Travis Elborough die Leistung des herzoglichen „Kosmografen“ Mercator, von dem im Frühjahr 1595 der „Atlas sive Cosmographicae meditationes de fabrica mundi“ erschien. Ein Werk mit 107 Karten, das trotz aller Genauigkeit doch nicht wie im Titel versprochen die „Struktur der ganzen Welt“ darstellte. Einige Karten fehlten ganz, andere waren wohl der Fantasie des Kartographen entsprungen. Mit seinem „Atlas des Unerwarteten“ knüpft Elborough an Mercators Atlas an und nimmt die Leser mit auf eine Reise zu 45 seltsamen oder erstaunlichen Orten, die per Zufall oder auch unbeabsichtigt entdeckt wurden. Titusville und Vaseline Zu all diesen Orten gibt es in dem schön gestalteten Buch eigens dafür angefertigte Karten, Schwarz-Weiß-Fotografien und eine geistreiche, oft spannende Geschichte. Zum Beispiel zur Wiederentdeckung der Insel Madeira, die einem Unwetter und einer unglücklichen Liebesgeschichte zu verdanken ist. Zu Titusville, dem längst vergessenen Geburtsort der Vaseline. Natürlich gehört auch Pompeji zu den durch Zufälle wieder entdeckten Orten oder Qumran am Toten Meer, wo Hirten die berühmten Schriftrollen als Erste entdeckten. Chess City und Nova Huta Ganz seltsam ist die Geschichte von Freshkills Park in New York, einstmals „ein natürliches Feuchtgebiet, in dem Stelzvögel und blaue Krabben lebten und Wildkräuter…

Glueck im Krieg
Rezensionen / 5. September 2019

Steffen Kopetzky legt mit „Propaganda“ ein ehrgeiziges Anti-Kriegs- Epos vor,   in dem er zwei amerikanische Kriegseinsätze miteinander koppelt. Bindeglied ist  ein Weltkriegs- und Vietnamveteran.  Ein Kriegsversehrter, der weiß, was Napalm anrichten kann und der sich seit einer Begegnung mit dem Gift buchstäblich in seiner amerikanischen Haut nicht mehr wohl fühlt. John Glueck heißt der Mann, der sich wegen eines Verkehrsdelikts verhaften und einsperren hat lassen. Die Hölle im Hürtgenwald Glück hatte der Mann in seinem Leben auch – immerhin hat er überlebt – aber vor allem jede Menge zu erzählen. Er war dabei bei einer der schlimmsten Niederlagen der Army im Hürtgenwald und ist 1971 aktuell in die Publikation der brisanten Pentagon Papers verwickelt, die den Amerikanern grausame Wahrheiten über den Vietnamkrieg bescheren. Jetzt also sitzt der Held im Knast und schreibt sein Leben auf. Er hat mit Salinger und Bukowski bei einem Creative Writing Kurs die Schulbank gedrückt und gesoffen, und er trinkt mit dem genialen Säufer Hemingway im Hürtenwald gegen die Angst – und dessen Schreibblockade – an. Amerikanische Propaganda gegen die Nazis Vor allem aber ist Glueck als Abkömmling deutscher Auswanderer vernarrt in die deutsche Kultur. Deshalb übernimmt er im Krieg gegen die Nazis den Job, die…

Mark Brandenburg: Wandern im Heute
Rezensionen / 27. August 2019

Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg umfassen fünf Bände. Für seine Wanderungen auf den Spuren Fontanes unter dem Titel „Heut ist irgendwie ein komischer Tag“ hat Cornelius Pollmer gerade mal 235 Seiten gebraucht. „Fontane reloaded“, wie es der Buchumschlag suggeriert, ist also ein bisschen hoch gegriffen. Der junge Journalist hat auch nicht Schlösser und Kirchen beschrieben oder sich dem kulturhistorischen Hintergrund gewidmet. Ihn interessierte nicht das Gestern, sondern das Heute. Originale und Landjugend Und da waren es vor allem die Menschen, die Pollmer faszinierten. Ausgiebig beschreibt er Originale wie Schniepa, den unentwegt quasselnden und organisierenden Truck-Kapitän, oder Krafft Freiherr von Knesebeck, einen Wessi mit erstaunlichem „Regionalimperium“, zu dem auch ein Hundehotel gehört. Und dann natürlich die Landjugend um Troppi, die feste feiern kann und sich auch im Suff noch der Heimat verbunden fühlt. Sommerleichte Aufzeichnungen „Das Geschehen auf Wanderungen kann ein ganz und gar innerliches sein, eine Instrospektion zu allen möglichen Fragen des Lebens,“ schreibt Pollmer zwischendrin, „So wandert man äußerlich durch die Gegend und innerlich durch sich selbst und alles schwingt in einem idealerweise sommerleichten Gefüge.“ Sommerleicht sind auch seine Aufzeichnungen, manchmal vielleicht ein bisschen zu leicht oder eher rotzig, wenn die Sonne „so erbarmungslos feuert, dass allen langsam,…

Züge als Zeitmaschine
Rezensionen / 20. August 2019

Die Faszination Eisenbahn ist von der ersten Seite an spürbar, und sie zieht sich durch alle sechs Kapitel und alle 400 Seiten. Die Weltreisende Sarah Baxter stellt die Züge als Zeitmaschine vor und beginnt ihre Reise durch die Geschichte der Menschheit anhand von Eisenbahnstrecken in der Urgeschichte. Das letzte Kapitel widmet sich dem modernen Streckenbau und der Rückbesinnung auf eine lange Tradition. Von Namibia bis Tschernobyl Ganz so schlüssig ist das Konzept allerdings nicht, auch wenn zu manchen Strecken Geschichtliches erzählt wird. Vordergründig geht es vor allem darum, interessante und spektakuläre Strecken vorzustellen, wobei nur ein Bruchteil mit einer ausführlichen Beschreibung, Karten und Bildern aufwarten kann. Nummer 1 ist der Wüsten-Express in Namibia, der auf einem Eisenbahnnetz aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs unterwegs ist. Nummer 494, das letzte große Porträt, beschreibt die Strecke Owrutsch-Tchernihiw, zu der bis zum GAU 1986 auch Tschernobyl gehörte. Heute fahren die Züge bis Slawutytsch, das für die Menschen gebaut wurde, die aus der radioaktiv verseuchten Zone evakuiert werden mussten. Von hier führt ein Abschnitt zur neuen Endstation Semikhody in der 10-km-Sperrzone um Tschernobyl. Höhlenbahn und höchste Eisenbahn der Welt Es sind also höchst unterschiedliche Züge und Strecken, die das Buch vorstellt. Auch Schmalspur- und…

Jostein Gaarder: Vor dem Sterben
Rezensionen / 14. August 2019

Der Roman „Sophie‘s Welt“ hat den ehemaligen Philosophielehrer Jostein Gaarder weltberühmt gemacht. In dem Buch erzählt der Norweger auf leicht verständliche Weise die Geschichte der Philosophie und ihrer großen Denker. Seither widmet sich Gaarder Romanen mit doppeltem Boden wie „Das Kartengeheimnis“ oder „Das Orangenmädchen“. Auch das letzte Buch des inzwischen 67-Jährigen ist eher eine philosophische Betrachtung als ein Roman, das Gleichnis eines Lebens: „Nichts an meiner Situation ist einzigartig, im Gegenteil. Ich bin nur einer von uns, und in dieser Rolle werde ich heute Abend und heute Nacht hier sitzen und schreiben.“ Grausame Diagnose In „Genau richtig. Die kurze Geschichte einer langen Nacht“ blickt der Lehrer Albert, der gerade erfahren hat, dass er nicht mehr lange zu leben hat, schreibend auf sein Leben zurück. Er ist ins „Märchenhaus“ zurückgekehrt, ins heiß geliebte Ferienhaus der Familie, in dem er und seine Frau Eirin ihre erste Liebesnacht verbrachten – als Einbrecher. Jetzt ist Eirin auf Dienstreise in Australien und Albert muss allein mit der grausamen Diagnose zurecht kommen, mit der die Hausärztin Marianne ihn konfrontiert hat. Ausgerechnet Marianne, die Frau, die er wegen Eirin verlassen und mit der er später seine Frau betrogen hat. Blick zurück in Liebe Albert erinnert sich daran,…

Gefährliches Spiel mit Erebos
Rezensionen / 13. August 2019

Ursula Poznanski konnte nicht widerstehen: Erebos ist zurück. Das Spiel, an dem sich Nick Dunmore vor zehn Jahren beinahe die Zähne ausgebissen hat, meldet sich von selbst auf seinem PC. Nicht genug damit, auch auf dem Handy ist Nick mit dem rätselhaften Spiel verbunden – ständig und überall. Und Erebos mischt sich skrupellos in Nicks Leben ein, beendet seine Beziehung, manipuliert seinen Alltag als Fotograf. Als er begriffen hat, dass er selbst zu Spielfigur zu werden droht, rettet sich Nick über analoge Kommunikation, Postkarten und Briefe. Zusammen mit seinem Freund Victor versucht er, Erebos auszuhebeln. Als die beiden dann auch noch den alten Kumpel Speedy mit ins Boot holen, wird der zusammengeschlagen. Für Nick ein Omen, dass Erebos zu allem bereit ist, wenn er nicht kooperiert. Jugendliteraturpreis für Erebos 1 Mit Erebos begann die sensationelle Karriere von Ursula Poznanski. Ihr Roman über ein Spiel, das die Spieler zu Marionetten macht, traf vor neun Jahren den Puls der Zeit und brachte der Wiener Autorin den Jugendliteraturpreis ein. Eigentlich wollte Poznanski keine Fortsetzung schreiben. Die Geschichte sei auserzählt, meinte sie. Aber die Entwicklung künstlicher Intelligenz und von Sprachassistenten wie Alexa und Siri, die Allgegenwart von Smartphones und die Abhängigkeit von solchen Geräten…

Südtirol: Wandern mit Abkühlung
Rezensionen / 13. August 2019

Südtirol ist eines der Lieblingsurlaubsziele der Deutschen, nicht nur, weil sich in dem Ländchen deutsche und italienische Mentalität so harmonisch verbinden – auch in der Küche – , sondern vor allem wegen seiner landschaftlichen Schönheit. Wandernd lassen sich Berg und Tal erleben, und, wenn es so richtig heißt wird, locken Seen und Wasserfälle mit Abkühlung. In dem Büchlein „Seen und Wasserfälle in Südtirol“ stellt Anja Eichelsdörfer die schönsten Wanderungen vor – von einfachen Spaziergängen über Wanderungen für die ganze Familie bis zu anspruchsvollen Touren. Abseits überlaufener Wanderziele Und sie zeigt auch, dass die Wanderziele nicht immer bekannte Seen sein müssen, die im Sommer meist hoffnungslos überlaufen sind. Weniger bekannt als der Pragser Wildsee in den Pragser Dolomiten ist zum Beispiel der Kortscher See im Vinschgauer Schlandrauntal auf 2510 Metern Höhe, den man nach anstrengender Wanderung mit etwas Glück für sich allein haben kann. Schwindelfreiheit und Trittsicherheit sind allerdings für den langen Weg erforderlich. Abkühlung verspricht auch der 2017 eröffnete Plima-Schluchtenweg im Martelltal. Unter anderem macht es eine Hängebrücke möglich, dem rauschenden Wasser ganz nahe zu kommen. Für die leichte, aber abwechslungsreiche Familienwanderung veranschlagt die Autorin eineinhalb Stunden Gehzeit. Durch die Schlucht und über den Steig Bis zum Sommer 2015 war die…

Vorhang auf für Paris
Rezensionen / 13. August 2019

Als Mitte April Notre Dame in Paris brannte, hielt die Welt den Atem an. Die Kathedrale auf der Ile de la Cité ist mehr als eine Kirche, mehr als ein Wahrzeichen von Paris, sie ist das Herz der französischen Hauptstadt – mehr noch als der Eiffelturm. Wie sehr Notre Dame unsere Sicht von Paris prägt, zeigt der wunderbare Bildband Paris von Serge Ramelli, eine Hymne an die Stadt der Liebe in Sonnenuntergangs- und Nachtfarben. Die Fotos feiern die Schönheit der Stadt Der Fotograf fand für seine Kamera-Gemälde ungewöhnliche Perspektiven, in allen Details ist seine Liebe zu seiner Heimatstadt zu spüren. Serge Ramelli feiert Paris, was dazu führt, dass er alles ausblendet, was seinem Ideal entgegen steht. Die modernen Seiten der französischen Hauptstadt kommen in dem Bildband nur ganz am Rand vor. Sie lassen sich auch nicht so schön in Szene setzen wie die klassischen Gebäude, wie Montmartre, Sacre Coeur, die Seine, der Louvre oder eben Notre Dame. Im Bildband steht Notre Dame noch in voller Pracht Im Bildband steht die Kathedrale noch in voller Pracht – mit dem eingestürzten Spitzturm. Mal grau unter einem rosigen Morgenhimmel, mal wie in Gold getaucht, immer aber Bild beherrschend. Diese Fotografien stehen für sich…