Spanien mit Rucksack und Geige
Rezensionen / 22. April 2020

Alastair Humphreys ist „mit Fernweh geschlagen“. Der Brite hat die Welt mit dem Rad umfahren, ist durch Südindien gewandert, über den Atlantik gerudert, hat Island durchquert, an einer Expedition in die Arktis teilgenommen, Mikroabenteuer erfunden – und ist Vater geworden. Und das ist „die schwierigste Reise seines Lebens“. Aus Rücksicht auf seine Familie will Humphreys auf die großen Abenteuer verzichten, aber einen Traum will er sich noch erfüllen: Auf den Spuren von Laurie Lee unterwegs zu sein. Fünf Liedchen auf der Geige Der Autor von „An einem hellen Morgen ging ich fort“ hatte 1935 die „vage Idee, durch Spanien zu wandern und seinen Lebensunterhalt durch Geigespielen zu bestreiten“. Das Problem war nur: Lees Fan konnte nicht Geige spielen. Doch Alastair Humphreys  lässt sich nicht entmutigen. Er lernt Geige spielen – wenn auch mit geringem Erfolg. Aber immerhin kann er am Ende fünf Liedchen auf dem Instrument spielen. Jetzt hält ihn nichts mehr, auch nicht die Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern. Ein streunender Hund „Ich musste mich die ganze Zeit beweisen“, stellt der Brite rückblickend fest. Umso mehr als er kurz vor seinem 40. Geburtstag stand. Und so macht er sich wieder auf den Weg – mit Rucksack und…

Watt, Wind und Wolken
Rezensionen / 21. April 2020

Das Wattenmeer ist Speisekammer und Kinderstube für Zugvögel,  Lebensraum für Seehunde, Kegelrobben und Schweinswale und eine faszinierend vielgestaltige Landschaft. „Es gibt wohl kaum eine Landschaft in Deutschland, wo der Horizont so weit und der Himmel so hoch erscheinen wie im Wattenmeer. Kein Berg, nicht einmal ein Baum stören diese Weite“ heißt es gleich zu Anfang im eindrucksvollen Bildband „Wunderwelt Wattenmeer“. Blättern statt Wandern Und schon beim ersten Durchblättern wird klar, was damit gemeint ist. Die Fotos vermitteln grandiose Eindrücke von der Vielfältigkeit dieser Naturlandschaft, von Wolken, Wind und Wellen. Statt Wattwandern, das in diesen Zeiten kaum möglich ist, ist also Blättern angesagt – mit dem Vorteil, dass man im Buch die verschiedensten Stimmungen im Watt erleben kann: leuchtende Salzwiesen im Frühling ebenso wie schäumende Wellenbrecher unter Herbststürmen. Und man sieht das Wattenmeer von oben, die filigranen Muster im Schlick, die Wellen im Sand, eine Hallig – winzig klein im weiten Blau. Langer Weg zum Weltnaturerbe Allein vom Anschauen her wird klar, dass das Wattenmeer „einer der wenigen ursprünglichen und wilden Lebensräume“ ist, die es in Europa und „vielleicht sogar auf der ganzen Welt gibt“. Ein Lebensraum, in dem die Gezeiten, der Wind und die Wellen regieren – und das obwohl…

Das Schicksal ist ein Hütchenspieler
Rezensionen / 14. April 2020

Sasha Filipenko, 1984  in Minsk geboren,  hat sich als junger Autor  an ein großes Thema gewagt,  den Stalin-Terrror.  Bewältigt hat er das heute wieder heikle Thema auf eine sehr originelle Weise:  Alexander ist gerade in das Haus in Minsk eingezogen, da lauert ihm die alte Nachbarin auf. Was für eine aufdringliche alte Hexe, denkt der junge Mann aufgebracht. Und doch lässt er sich von Tatjana, so heißt die von Alzheimer Neunzigjährige, in ihr Leben hineinziehen. Ein Leben, geprägt von Leid und Gewalt. Denn, weil Tatjanas Mann in Kriegsgefangenschaft geriet, musste sie um ihr Leben und das ihrer Tochter fürchten – auch wenn sie seinen Namen durch den eines anderen ersetzte. Kriegsgefangene als Landesverräter Dass Kriegsgefangene unter Stalin als „verwerfliche Deserteure“ zu betrachten und ihre Familien „als Angehörige von eidbrüchigen und landesverräterischen Fahnenflüchtigen zu verhaften“ waren, hat Sasha Filipenko zu seinem Roman „Rote Kreuze“ inspiriert. Auch Tatjana entgeht nicht der Verhaftung, sie wird von ihrer Tochter getrennt und tagelang verhört und vergewaltigt. Am Ende landet sie in einem menschenunwürdigen Lager wie Solschenizyns „Gulag“. Nur der Gedanke, irgendwann doch noch Mann und Tochter wiederzusehen, hält sie am Leben – und der Wunsch, sich bei dem Mann zu entschuldigen, dessen Namen sie anstelle…

Rüdiger Nehberg, der Menschenfreund
Rezensionen / 7. April 2020

Rüdiger Nehberg, der am 1. April im Alter von 84 Jahren gestorben ist, wurde zu Unrecht auf das Image eines „Käferfressers“ und Überlebenskünstlers reduziert.  Er war Globetrotter, Abenteurer, und vor allem Menschenrechtsaktivist.  Und er hat ein Buch hinterlassen, das sein Leben erzählt: „Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen“. Im Tretboot über den Atlantik Natürlich erzählt er auch da von seinen vielfältigen Abenteuern, davon, wie er den blauen Nil befahren hat, in einem Tretboot und im Einbaum den Atlantik überquert hat und wie er mehrfach dem Tod um Haaresbreite entkommen ist. Doch wichtig ist dem gelernten Bäcker und Konditor im Rückblick auch Dankbarkeit für das, was er auf seiner extensiven Suche nach dem Leben erfahren durfte: „Momente, die mir einmal mehr das Glück bewusst machen, ausgerechnet in Nordeuropa zu leben, in all dem Wohlstand, dem gemäßigten Klima, der Demokratie, der Pressefreiheit, den Bildungsmöglichkeiten, des Friedens, des gemeinsamen Europas. Paradiesische Zustände, wie noch keiner unserer Vorfahren sie erleben durfte. Und ich verspüre die Verpflichtung, davon abzugeben an die, die unter solch erbärmlichen Umständen ihr Dasein fristen müssen.“ Ein Kämpfer für die Menschenrechte Rüdiger Nehberg hat nicht nur abgegeben, er hat auch gekämpft: Für die Rechte der Yanomami im Amazonasgebiet und später gegen…

Auf der Suche nach der verlorenen Kindheit
Rezensionen / 26. März 2020

Sofia Lundberg, die mit ihrem Debüt „Das rote Adressbuch“ einen Überraschungserfolg verbuchen konnte, ist mit „Ein halbes Herz“ wieder ein Roman gelungen, der mit Sicherheit den Weg in die Herzen der Leser und Leserinnen findet. Es ist eine harte Kindheit, die Elin in Gotland erlebt, wo sie mit ihren zwei jüngeren Brüdern aufwächst. Der Vater, ein Alkoholiker, der im Rausch eine Frau beinahe erschossen hat, sitzt hinter Gittern. Die Mutter Marianne, frustriert und einsam, verliebt sich in den Nachbarn. Er ist der Vater von Elins Freund Frederick, der mit seiner Mutter wegzieht aus dem Dorf. Und Elin fühlt sich immer mehr allein gelassen von allen, die sie liebt. Die Vergangenheit meldet sich zurück Ist das dieselbe Elin wie die schöne, erfolgreiche Fotografin, die in New York von Termin zu Termin hetzt und dabei ihre Familie vernachlässigt? Eines Tages flattert ihr ein Brief ins Haus – von Frederick. Er hat einen Stern nach ihr benannt. Der Brief bringt ihr Leben aus dem Gleichgewicht, Erinnerungen aus ihrer Kindheit, die sie lange verdrängt hat, tauchen auf. Als ihr Mann Sam sie verlässt und sie Gefahr läuft, auch ihre Tochter Alice zu verlieren, beginnt Elin, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Als erstes muss sie…

Der Himmel über den Highlands
Rezensionen / 24. März 2020

Wer hätte gedacht, dass der Himmel über den schottischen Highlands so gefährlich sein könnte? Der schottische Autor G.R. Halliday scheint fasziniert von himmlischen Events, vor allem von Meteoriten: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass schon morgen ein unbekannter Asteroid wie aus dem Nichts auftaucht, groß genug, um die menschliche Zivilisation vollständig auszulöschen. Verborgen im Licht der Sonne. Ein Meteoriteneinschlag hat die Dinosaurier ausradiert. Ein Meteoriteneinschlag könnte außerdem vor zehntausend Jahren die Polkappen zum Schmelzen gebracht haben…“, erklärt einer ihrer Kollegen der in einem aufsehenerregenden Mordfall ermittelnden Kommissarin DI Monica Kennedy. Schwarze Steine in der Kehle Ein Junge ist ermordet und wie ein Opferlamm in der Landschaft abgelegt worden. Er wurde wohl auch gefoltert, und in seiner Kehle steckt ein schwarzer Stein. Wer tut so etwas? Gleich darauf der nächste Tote. Wieder ein Junge, wieder ein schwarzer Stein. Die Polizei ist in Alarmstimmung und ermittelt in alle Richtungen. DI Monica, wegen ihrer auffallenden Größe „Riesin“ genannt, hat kaum noch Zeit für ihr Töchterchen Lucy. Und dann ist da auch noch der Sozialarbeiter Michael, der einen ihm anvertrauten Jungen sucht. Ist Nichol auch Opfer des Serienmörders geworden? Ein unerwarteter Täter Halliday hat sein Krimidebüt in den oft Nebel verhangenen Highlands rund um Inverness…

Mit Stinki in den Stan-Staaten
Rezensionen / 23. März 2020

Eigentlich wissen sie von Anfang an, worauf sie sich einlassen. Der nicht ganz taufrische Subaru-Bus steht nicht um die Ecke, sondern in Bischkek/Kirgistan. Aber irgendwie reizt Vanessa Scharsching und Christian Biermann das Abenteuer. Und sie lassen sich auch davon nicht entmutigen, dass ihr Bus geplündert worden ist. 30 Jahre hat der Subaru Libero auf dem Buckel und danach riecht er auch. Trotzdem wächst Stinki, wie sie ihr fahrbares Zuhause nennen,  dem österreichischen Pärchen sogleich ans Herz. Scheinehe gegen die Neugier Learning by doing heißt fortan die Devise, denn Stinki braucht viel Zuwendung mittels Reparaturen, und die Automechaniker in Kirgistan sind da eher überfordert. Doch außer den üblichen Pannen und neugieriger Fragen sind die beiden Abenteurer begeistert vom Land, bewundern Sportarten wie Pferdewrestling und Ziegenpolo, gehen „eine äußerst intakte Scheinehe“ ein und ringen sich auch dazu durch, vergorene Stutenmilch zu trinken, um die Gastgeber nicht vor den Kopf zu stoßen. Auf der Gefühlsachterbahn Stinki absolviert derweil Kurven, Schlaglöcher und Wellblechpisten. „Der Subaru war ja nicht nur Anstoß für unsere Reise und Anstoß einiger Schimpftiraden gewesen, sondern auch immer wieder Anlass für unvergessliche Begegnungen mit Einheimischen“, notiert Vanessa Scharschning dankbar: „Kinder und Erwachsene liebten Stinki.“ Leicht ist es trotzdem nicht, mit dem…

Gefährliche Gartenpflege
Rezensionen / 19. März 2020

Elsemarie Maletzke hat eine Vorliebe für Gärten und für England. Beide hat sie in ihrem neuen Kriminalroman Magnolienmord zusammengebracht. Auf höchst vergnügliche Art. Dies ist kein Krimi, der mit viel Blut und brachialer Gewalt aufwartet, auch nicht mit allwissenden Kommissaren. Hier geht es um eine bibliophile Hobbygärtnerin und einen polnischen Dendrologen (Baumforscher) mit kriminellen Neigungen. Angespanntes Verhältnis zwischen Vermieterin und Mieter Dass die beiden zusammenkommen, ist am Anfang nicht abzusehen. Da stehen Vermieterin und Teilzeitmieter einander mit gegenseitiger Abneigung gegenüber: „Elinor sah einen großen Mann jenseits der fünfzig mit grauen Augen, graugesticheltem Haar und schmalen Wangen. Gärtnerbräune, dachte sie ,die am Kragen und über den Ellenbogen aufhört.“ „Er sah eine alte Jungfer, noch schlank, noch ganz appetitlich, mit hohen Wangenknochen, die sie auch im nächsten Jahrzehnt noch gut aussehen lassen würden.“ Ein „barsches Weib“ ist die Vermieterin für den Mieter Simon Jankowski, der sich für andere Hausbewohner mit einer Aktion im angrenzenden Jüdischen Friedhof verdächtig macht. Ein Baumsturz mit Folgen Doch dann wird Elinor von ihrer jüngeren Schwester und deren Kurzfrist-Lebensgefährten heimgesucht und die Wohnung wird zum Schlachtfeld. Dagegen wird ihr der polnische Mieter mit seinen guten Manieren schon fast zur Zuflucht. Eine zarte Liebe blüht auf.  Doch  der hilfsbereite…

Der Charme der Unauffälligkeit
Rezensionen / 18. März 2020

Anne Tyler kann meisterhaft von den kleinen Dingen des Alltags erzählen.  Das tut sie auch in ihrem neuen Roman „Der Sinn des Ganzen“: Micah ist kein Traummann, eher einer, den man gern übersieht. Einer, der sich klein macht, der nicht auffallen will. Fast symbolisch lebt er im Souterrain in einer bescheidenen Absteige, die er allerdings pedantisch sauber hält. Seine Tage sind durchstrukturiert. Erstaunlich, dass er trotzdem noch Zeit hat für seine Freundin, Cass, eine Lehrerin. Die beiden passen eigentlich gut zusammen, denn Cass kommt auch bei Micahs Familie gut an. Micahs  Welt gerät in Unordnung Aber dann macht Micah das ganze schöne Arrangement zunichte. Einfach so, weil er nicht richtig zuhört, weil er gedankenlos ist. Cass hat ihm davon berichtet, dass sie womöglich ihre Wohnung verlieren könnte. Und er? Hat keinen Ratschlag, nur leere Worte. Und dann taucht Brink auf, der Sohn von Micahs Jugendliebe, und bringt Micahs geordnete Welt durcheinander und Cass auf die Palme. Die Freundin verlässt ihn, die Familie wundert sich, und Micah wird eine unangenehme Wahrheit bewusst: „Er hatte niemanden.“ Leere Tage und keine Aussicht auf Besserung Brink ist nicht sein Sohn und die Jugendliebe verheiratet. Die Schwestern leben ihr eigenes Leben, und Micahs Tage sind…

Mutmenschen in den Bergen
Rezensionen / 17. März 2020

„Das ist doch der Gipfel“ hat Andreas Lesti seine „Geschichten von den Bergen der Welt“ überschreiben.  Von Mutmenschen und Pionieren handelt diese Essay-Sammlung und auch davon, „wie aus dem ehemaligen Schreckensort Alpen ein Sehnsuchtsort wurde“.  Der Alpinist und Autor Andreas Lesti hat manche der geschilderten Routen selbst  begangen und mit einigen der Porträtierten gesprochen. Aus seiner Faszination für die Welt der Berge und die „Helden der Vergangenheit“ macht er kein Hehl. An 15 Porträts und Geschichten hangele sich das Buch durch Zeit und Raum, schreibt er im Vorwort. Es lohnt sich, jede einzelne zu lesen – und dazu auch Rekordsammlung hinter den einzelnen Kapiteln. Denn Andreas  Lesti ist ein ebenso versierter Kenner der Alpingeschichte wie ein guter Erzähler. Der Dichterfürst auf der Furka Da erfährt man etwa, dass Belsazar Hacquet 1785 von einem Bergsteiger erwartete, er müsse „in allen Fällen beherzt seyn und keine Furcht vor hohen, noch gähen Abstürzen haben“. Oder dass Deutschlands Dichterfürst 1779 auf der Furka Kälte und Eis erlebte und später die Bergkletterei als etwas Barbarische verurteilte. Man liest mit Interesse, dass Alexander von Humboldt, der eher als Universalgelehrter denn als Alpinist bekannt ist, 1802 am Chimborazo einen Höhenrekord aufgestellt hat. Und man wundert sich über…